LESEFLÜSSIGKEIT
Was versteht man eigentlich unter Leseflüssigkeit? Einfach formuliert: dass ein Text mühelos und routiniert gelesen werden kann, dass man lesen kann, „ohne zu merken“, dass man liest (vgl. Rosebrock et.al 2011). Leseflüssigkeit ist also die Fähigkeit zur genauen, automatisierten, schnellen und sinnbildenden leisen und lauten Lektüre.
Die Ausbildung von Leseflüssigkeit ist für das spätere Verständnis von Texten von zentraler Bedeutung. Die Leseflüssigkeit hat eine Brückenfunktion hin zum Erwerb von Lesekompetenz, d.h., wer flüssig lesen kann, versteht mehr vom Inhalt des Textes (vgl. Gailberger/Nix 2013). Die angloamerikanische Leseforschung formulierte auf Grundlage dieser Erkenntnis bereits seit den 1970er-Jahren: Learning to read, then reading to learn – erst Leseflüssigkeit fördern, dann Lesestrategien lehren. Viele Kinder und Jugendliche verfügen nur über mangelhaft ausgebildete Lesefertigkeiten auf der Wort- und Satzebene und können somit Texte nicht flüssig lesen (vgl. u.a. Klicpera/Gasteiger-Klicpera 1998). Wenn das Dekodieren auf der Wort- und Satzebene zu viel Aufmerksamkeit beansprucht, weil Wörter und Satzteile mehrere Male langsam erlesen werden müssen, können längere Textabschnitte kaum bewältigt werden. Schwache Lesefertigkeiten bedingen eine niedrige Motivation, längere Texte anzugehen und darüber zu sprechen und diese oft über Jahre gesammelten Negativerfahrungen bei fehlenden lesefördernden Maßnahmen verdichten sich zu einem Selbstbild des Nicht-Lesers (vgl. Rosebrock et.al. 2011). Das Fatale an dieser Situation besteht darin, dass sich ein „Teufelskreis des Nicht-Lesens“ bilden kann: Schwache Leserinnen und Leser meiden das Lesen, da sie Texte nicht flüssig lesen können. Da ihnen die Leseübung fehlt, können sie ihre Lesefertigkeiten nicht verbessern. Längsschnittstudien belegen, dass Kinder, die im 2. oder 3. Schuljahr immer noch auffällig unsicher lesen und keine spezifische Förderung erhalten, die Rückstände zu ihren Mitschüler*innen in den folgenden Schuljahren nicht aufholen (vgl. Klicpera/Gasteiger-Klicpera 1993).
Deshalb sind passende Förderansätze notwendig, die diesen Kreislauf durchbrechen und die Leseflüssigkeit der Kinder und Jugendlichen auf den verschiedenen Schulstufen verbessern können. Empirische Forschungsergebnisse belegen eine hohe Wirksamkeit von Lautleseverfahren zur Verbesserung der Leseflüssigkeit (vgl. Rosebrock et al. 2011). Ein spezielles Lautleseverfahren ist die kooperative Methode des Lautlesetandems. Dabei übt jeweils ein etwas besser lesender gemeinsam mit einem etwas schwächer lesenden Schüler zusammen. Die Lesepartner lesen synchron und laut kurze Textabschnitte. Jeder Textabschnitt wird gemeinsam mindestens viermal wiederholt gelesen. Die größten Effekte zeigen sich, wenn die Methode mindestens dreimal pro Woche für jeweils etwa 15 – 20 Minuten durchgeführt wird. Für die gesamte Fördereinheit sollten ca. vier Monate anberaumt werden. Das Lautlesetandem kann gut in der Volksschule ab der 2. Schulstufe durchgeführt werden. Die Beratungslehrer*innen für Lesen können bei der Vorbereitung und Einführung der Methode unterstützen und begleiten.
Sylvia Heim
Literatur:
Rosebrock, C./Nix, D./Rieckmann, C./Gold, A. (2011): Leseflüssigkeit fördern. Lautleseverfahren für die Primar- und Sekundarstufe. Seelze
Gailberger, S./Nix, D. (2013): Lesen und Leseförderung in der Primar- und Sekundarstufe. In: Gailberger, S./Wietzke, F. (Hrsg.): Handbuch Kompetenzorientierter Deutschunterricht. Weinheim
Klicpera, C./Gasteiger-Klicpera, B. (1993): Lesen und Schreiben - Entwicklung und Schwierigkeiten. Die Wiener Längsschnittuntersuchung über die Entwicklung, den Verlauf und die Ursachen von Lese- und Schreibschwierigkeiten in der Pflichtschulzeit. Bern
Klicpera, C./Gasteiger-Klicpera, B. (1998): Psychologie der Lese- und Schreibschwierigkeiten. Entwicklung, Ursachen, Förderung. Weinheim