LESEVERSTÄNDNIS Teil II
Wie lehrt man Lesestrategien?
Lesestrategien sind mentale Lesehandlungen, mit deren Hilfe die effektive Informationsverarbeitung von Texten leichter gelingt. Lesestrategien sollten explizit vermittelt werden und bei der unmittelbaren Textarbeit geübt werden (vgl. Rosebrock/Nix 2011).
In einem ersten Schritt müssen die Schüler*innen Lesestrategien kennenlernen. Ihr „mentaler Werkzeugkasten“ soll zunächst mit „Leseinstrumenten“ gefüllt werden. Die Lehrperson erklärt einleitend den Nutzen und die Bedeutung von Lesestrategien und erarbeitet gemeinsam mit den Schüler*innen die wesentlichen Primärstrategien. Zwei grundsätzliche Vorgehensweisen empfehlen sich dabei für den Unterricht:
Erstens sollte die Lehrperson als Lesemodell auftreten, die für die Schüler*innen ihre eigenen mentalen Tätigkeiten beim Lesen konkreter Texte offenlegt und die jeweilige Lesestrategie vormacht. Für diese Vorgehensweise ist die Methode des „lauten Denkens“ zentral: Das Denken, das normalerweise nicht beobachtet werden kann, wird dabei laut ausgesprochen, wie es z.B. bei einem Selbstgespräch passiert oder beim „Mitmurmeln“ des Gedankengangs während des Lösens einer mehrschrittigen Aufgabe. Im Prinzip ist das laute Denken einfach. Die Lehrperson liest dazu einen Text laut abschnittsweise vor, unterbricht bei Unklarheiten oder nach bestimmten Sätzen die Lektüre und verbalisiert dabei ihre Gedanken. Die Schüler*innen sehen dabei, dass auch das Verstehen von Texten ein prinzipiell lernbarer Prozess ist, auch für sie.
Zweitens sollte sich die Lehrperson bei der Erarbeitung der primären Lesestrategien am Wissensstand der Schüler*innen orientieren. Auch schwächere Leser*innen verfügen schon über ein bestimmtes strategisches Wissen, das mit Fragen (z.B. „Was macht ihr, wenn ihr Wörter im Text nicht versteht?“, „Wie geht ihr vor, wenn ihr den Sinn einer Textstelle nicht versteht?“) sichtbar gemacht werden kann. So wird ein Katalog von Primärstrategien erarbeitet, der nach verschiedenen Rubriken gegliedert wird (z.B. „vor“, „während“, „nach der Lektüre“) und grafisch gestaltet in der Klasse aufgehängt wird.
Die Schüler*innen müssen üben, die gelernten Lesestrategien immer anzuwenden.
Die gelernten Strategien sind z.B. auf Strategiefächern wie dem Lesepiloten oder Leselotsen festgehalten. Die Schüler*innen haben bei jedem neuen Text diesen Fächer bei sich und wenden die dort genannten und kurz erläuterten Strategien an. Sie lernen dabei nach und nach, die für die jeweilige Aufgabenstellung und den jeweiligen Text angemessenen Strategien anzuwenden. Es ist nachweislich sehr effektiv, den Vermittlungsprozess der Lesestrategien im Laufe der Zeit mehr in die Verantwortung der Schüler*innen zu legen, wie es bei der Methode des reziproken Lehrens vorgeführt wird. Die Schüler*innen finden sich dabei in Kleingruppen zusammen und bringen sich Form des kooperativen Lernens gegenseitig den Umgang mit den Lesestrategien bei.
Die Schüler*innen erlernen nach und nach einen reflektierten und selbstregulierten Umgang mit Lesestrategien.
Neben den unmittelbaren Lesestrategien brauchen Schüler*innen auch metakognitive Strategien, mit denen sie ihren Leseprozess überwachen. Welche Lesestrategie passt für welchen Text? Die gelernten Lesestrategien werden mit dem Leseziel und der Lesemotivation abgestimmt.
Erarbeitete Lesestrategien sollten in allen Unterrichtsfächern eingesetzt und geübt werden. Das Kollegium einer Schulklasse einigt sich am besten auf ein Set von Lesestrategien, das in Form eines „Vademecums“ wie z.B. dem Lesepiloten festgehalten ist und dann regelmäßig im Fachunterricht Anwendung findet.
Literatur: Rosebrock, C./Nix, D. (2011): Grundlagen der Lesedidaktik und er systematischen schulischen Leseförderung. Baltmannsweiler