Ana Schnabel, Meisterwerk

ana schnabl, meisterwerkZwischen Literatur und Geschichte herrscht immer ein unausgesprochenes Wechselspiel. Zum einen vermag die Literatur gesellschaftliche Umbrüche voranzutreiben oder zu verhindern, zum anderen werden in Zeiten des Umbruchs selbst intime Liebesgeschichten zu einem Politikum.

Ana Schnabl verwendet für ihren Roman „Meisterwerk“ die Witterung des untergehenden Jugoslawiens und stellt den einzelnen Kapiteln immer eine Stadtlandschaft voller Pfützen voran, worin Helden in ihren nassen Kleidern herumtapsen. Und schon beim ersten absichtslosen Betreten eines Treppenhauses merkt jeder, dass hier ein Staat am Ende ist, und es setzt bedrückende Stimmung ein.

Das Manuskript „Meisterwerk“ steht vordergründig im Mittelpunkt einer reifen Liebesgeschichte zwischen einem Autor und seiner potentiellen Verlegerin. Beide sind unauffällig verheiratet und Affären nicht abgeneigt, die sie dann von ihren Ehepartnern bei laufendem Seitensprung-Betrieb analysieren lassen.

Auf der zweiten Ebene handelt es sich um eine Episode des Literaturbetriebs, als Adam, der Professor für Literatur, es nach einem Flop vor zwanzig Jahren erneut mit einem Musterroman probiert, während die Lektorin Ana unter staatlicher Aufsicht steht, sie hat sich vor Jahren an den Geheimdienst verdingt, um diesen Job überhaupt zu bekommen. Für beide geht es also im literarischen und politischen Sinn um alles, während sie um das Manuskript herum jonglieren, das wie eine Patience ausgelegt ist.

Die dritte Motivfläche, die über dem angehenden Meisterwerk ausgebreitet wird, mündet im öffentlichen Raum, in Gemeinschaftsflächen von Parks und Landschaft, in Regularien des sozialen Zusammenlebens und im „puren Sinn“, den große Aufgaben wie Staat oder Liebe abstrahlen und gleichzeitig einfordern.

In einem chronologisch aufgefädelten Plot, der sich über die Jahre 1985 und 1986 erstreckt, entwickelt sich vorerst eine professionelle Liebesgeschichte, die gerade deshalb so stabil wirkt, weil intellektuelle Einschübe wie Baustahl in den emotionalen Beton eingegossen sind. Die Liebesgeschichte muss vor allem im öffentlichen Raum ausgetragen werden, weil zu Hause alles schon mit konventioneller Ehe besetzt ist. Und zudem sind die Literaturfunktionäre der Akademie und die „Polizeimenschen“ vom Geheimdienst hinter den beiden her, und fragen sich, welche Geheimnisse da bei öffentlichen Spaziergängen aufgeführt werden.

Das Meisterwerk ist einerseits jener gelungene Roman, der alle diese Leidenskomponenten des Schöpfungspersonal in sich aufsaugt, andererseits ist es eine Fiktion, die zusammenbricht, sobald es publiziert wird. „Wer wählt, wählt auch Fiktionen.“ (151) Das gilt genauso für die Liebe, wie für die Literatur.

Die beiden Protagonisten Adam und Ana geraten zusehends über sich selbst ins Staunen, als sie merken, dass jedes Besteck austauschbar ist. Man kann mit den Richtlinien für einen meisterlichen Roman eine meisterliche Liebe hinkriegen, und andererseits mit der Entdeckungslust einer Liebesbeziehung auf ungeahnte Meisterstücke der Literatur stoßen.

In einer klassisch entwickelten Dramaturgie muss es schließlich zu einem fälschlichen Höhepunkt und anschließendem Zusammenbruch kommen.

Adam erlebt eine Schreibkrise der Sonderklasse, also ein Meisterstück der negativen Art, während er sich mit dem Vorwurf von Ana auseinandersetzen muss: Du willst beim Schreiben nicht Gedanken austauschen, sondern sie dem Gegenüber einbrennen!

Dieser Totalitarismus ist es, der alles in die Luft jagt, die Liebe, die Literatur, den Staat. Beide ziehen die Reißleine, indem sie die Chose auslaufen lassen. Dabei hatten sie sich schöne Rezepte zurechtgelegt, eine gute Liebesgeschichte besteht aus einem einmaligen Treffen, höchstens ein zweites Mal dürfen die glühenden Körper aneinandergeraten.

Und als auch diese Bremse nichts nützt, gibt es die schöne Spielregel, sich an allen Städtchen Sloweniens zu treffen, aber maximal dreimal pro Ort.

Dadurch lernen die beiden das Land kennen, indem sie ihm vordergründig aus dem Weg gehen und sich aufeinander stürzen. Beide unterschätzen, dass es dieselbe Magie ist, mit der Staatsformen auf Untertanen einwirken und die Liebe auf die Emotions-Untertanen. Beides kommt eines Tages ans Ende, die Frage ist, wie man ohne Gewalt und Hass aus kaputten Staatsformen und Liebschaften herauskommt.

Ana Schnabl erzählt raffiniert über das verflossene Jugoslawien, das trotz seiner grotesken Spione wie eine Geliebte auf seine Staatsbürger aufzupassen versucht. Die einzelnen Sequenzen sind dann oft heftige Schilderungen über Parks, Landschaften, Witterung und Gelände, die uns alle als Botschafter der Öffentlichkeit täglich beeindrucken und leiten.

In einem Epilog, der zehn Jahre nach dem Outing um das Meisterwerk spielt, liest Adam, der sein Stück längst vergessen hat, von einem Meisterwerk, das die ehemalige Lektorin Ana jetzt herausgebracht hat.

Bei diesem postmodernen Cliffhanger merkt man dann doch, dass die Autorin vom Literaturbetrieb geprägt ist, und sich nicht getraut, ohne den Schwenk Text im Text aus dem Buch zu gehen. Ein echtes Meisterwerk nämlich riskiert es, die Leser verblüfft in jenem Regen stehen zu lassen, der beim Untergang von Staaten unaufhörlich fällt.

Ana Schnabl, Meisterwerk. Roman, a. d. Slowen. v. Klaus Detlef Olof [Orig. Titel: Mojstrovina. Ljubljana, 2020]
Bozen, Wien: folio Verlag 2022, 228 Seiten, 22,00 €, ISBN 978-3-85256-851-5

 

Weiterführende Links:
Folio Verlag: Ana Schnabl, Meisterwerk
Wikipedia: Ana Schnabl

 

Helmuth Schönauer, 02-04-2022

Bibliographie

AutorIn

Ana Schnabl

Buchtitel

Meisterwerk

Originaltitel

Mojstrovina

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2022

Verlag

Folio Verlag

Übersetzung

Klaus Detlef Olof

Seitenzahl

228

Preis in EUR

22,00

ISBN

978-3-85256-851-5

Kurzbiographie AutorIn

Ana Schnabl, geb. 1985 in Ljubljana, lebt in Kamnik.

Klaus Detlef Olof, geb. 1939 in Oebisfelde, lebt in Zagreb und Pula.