Heinz A. Pachernegg, Auf Reisen

heinz pachernegg, auf reisenDer Tourismus ist an die Erfindung der Fotografie gekoppelt. Wo es nämlich nichts zu fotografieren gibt, hat es auch keinen Sinn, hinzufahren. Umgekehrt muss ein Fotograf ständig mit touristischer Geste unterwegs sein, will er seinen Pixelspeicher am Jahresende voll haben.

Heinz A. Pachernegg ist als Berufsfotograf und Fotoessayist viel „auf Reisen“ und kommt daher dem berühmten Beatnik-Motto „on the road“ sehr nahe, wonach Menschen, Wörter und Bilder ständig zu sich selbst unterwegs sind. Das Zusammenschmelzen dieser drei Bewegungskörper geschieht in der Pareidolie, wie Andrea Wolfmayr in ihrem Einleitungsessay bemerkt. Pareidolie bezeichnet das Phänomen, in Dingen und Mustern vermeintliche Gesichter und vertraute Wesen oder Gegenstände zu erkennen.

Wenn der Leser also die vorgestellten Reisen in Wort und Bild nachempfindet, so verschmelzen dabei die Erwartungen mit den Ausführungen. Idealerweise tritt diese magische Übereinkunft im Spiel des Kindes auf, wenn aus erzählten Bildern durch spielerisches Nachahmen das Kind in eine neue Wirklichkeit versetzt ist. Der Autor beschreibt dies ergreifend an seiner Erfahrung mit Wladiwostok. Obwohl er gerade am Semmering zum Spielen vor die Tür geschickt worden ist, findet er sich als Kind auf der Erdkugel bestens zurecht, indem er diverse Punkte im Garten mit geographischen Städten hinterlegt. Wladiwostok ist dann ein Wendepunkt des Spiels im Garten an dem das Kind umdreht, weil der Kontinent ja zu Ende ist.

Die Erzählung Wladiwostok ist ein Musterbeispiel für Pareidolie, jeder von uns hat diesen Ort am Ende unserer Landmasse schon einmal aufgesucht und ist somit nicht überrascht, wenn Bild und Text über diese Stadt genau so ausfallen, wie in der Imagination umrissen.

Ähnliches geschieht an Orten wie New York City, Ladakh, Berg Athos oder Vukovar. Diese Sammelpunkte von Vorstellungen hat der Autor freilich als Erwachsener aufgesucht, dabei kommt bereits der professionelle Blick zum Einsatz. Ein Profi lässt das Hauptmotiv durchschimmern, knipst ihm aber niemals ins volle Gesicht, das unterscheidet ihn vom Amateur oder Selfie-Jäger.

Manche Städte lassen sich von vorneherein nicht als Fotoserie verwirklichen, sondern müssen als Essay umzingelt werden, will man auf ihre Emotion stoßen. „Lebensgefühl Neapel“ heißt folgerichtig dieser Versuch.

Reisebildern sieht man es an, wie sie erwandert, erarbeitet oder erschlossen worden sind. So vermittelt eine Anreise in den 1970er Jahren mit dem legendären Puch-Moped ein „kirgisisches Gefühl“, auch wenn die Fahrt nur in irgendeine Herzkammer der Steiermark geführt hat. Der daran anschließende Bericht über Kirgisien verbindet aber diese beiden Widerlager einer Reise. Denn das Reisen ist immer zwischen den einzelnen Abschnitten aufgespannt und lässt sich nie als Einzelereignis begreifen. Das unterscheidet diese Lebensreisen auch von Urlaubsreisen, die mit einem genauen Datum am Terminal eingepflockt werden.

Der Großteil der Essays spielt sich zu Hause rund um den Dachstein ab. Die Dachsteinerkundungen dauern sechs Tage und liefern im Rhythmus eines Schöpfungsberichts jenes Gefühl ab, das vielleicht die Erde bei ihrer Erschaffung empfunden hat. Auch am Dachstein darf man nach sechs Tagen Wanderarbeit ruhen.

Wer lange genug in die Tiefe wandert, stößt am Ende tatsächlich „auf die Wahrheit“. Dem Autor ist diese im Mooslandl in der sogenannten Hochsteiermark widerfahren. (66)

Kinder in Bukarest, sozial-amorphes Brachland in Berlin Mitte, Arbeit auf Leben und Tod in der russischen Stadt Magnitogorsk zeigen die Menschen in Ausnahmesituationen, das politische Umfeld weicht zurück, sobald man eine Kamera in die Hand nimmt.

Letztlich kommen noch jene Phänomene ins Bild, die sich nicht abbilden lassen. Die Donau von Passau bis Hainburg etwa lässt sich dann doch noch aus der Bundeshymne kitzeln und zu einem Essay „am Strome“ umformatieren.

„Die Reise ins Innen“ hat von sich aus die Gestalt des Gedichtes gewählt. „Die innere Freiheit kennt keine Grenzen.“ (130)

Der Epilog ist als stiller Dank an Google formuliert, mit ihrer Hilfe konnte die Pandemie zu Hause ohne Reisen ausgesessen werden. Hier schließt sich der Kreis zum Wladiwostok des Kindes: Wir müssen uns die Orte bloß selber vorstellen, dann können wir sie alle bereisen.

Wer dem Fieber der Pareidolie verfallen ist, sieht in jeder Wurzel seine Geliebte, in jedem Haus seine Vorfahren, in jeder Stadt seine Heimat.

Heinz A. Pachernegg, Auf Reisen. Episoden, Bilder, Fragmente
Graz: Edition Keiper 2021, 139 Seiten, 18,00 €, ISBN 978-3-903322-03-5

 

Weiterführende Links:
Edition Keiper: Heinz A. Pachernegg, Auf Reisen
Homepage: Heinz A. Pachernegg

 

Helmuth Schönauer, 09-03-2022

Bibliographie

AutorIn

Heinz A. Pachernegg

Buchtitel

Auf Reisen. Episoden, Bilder, Fragmente

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2021

Verlag

Edition Keiper

Illustration

Heinz A. Pachernegg

Seitenzahl

139

Preis in EUR

18,00

ISBN

978-3-903322-03-5

Kurzbiographie AutorIn

Heinz A. Pachernegg, geb. 1954 in Mürzzuschlag, lebt in Graz.