Thomas Piketty, Eine kurze Geschichte der Gleichheit
„Dieses Buch bietet eine vergleichende Geschichte der Ungleichheit zwischen gesellschaftlichen Klassen in menschlichen Gesellschaften – oder vielmehr eine Geschichte der Gleichheit, gibt es doch eine langfristige historische Tendenz zu mehr sozialer, ökonomischer und politischer Gleichheit.“ (S. 13)
Auch wenn sich grundsätzlich seit der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Tendenz zu mehr Gleichheit in den Bereichen Status, Eigentum, Einkommen, zwischen den Geschlechtern und Rassen beobachten lässt, bestehen die Ungleichheiten auf allen Ebenen weiterhin fort. Um weitere Verbesserungen in Gang zu setzen, ist es daher wichtig, zu erkennen, welche Kämpfe, Bewegungen und institutionellen Veränderungen in der Geschichte nachhaltig zu mehr Gleichheit geführt haben.
Mit einem Blick in die Vergangenheit wird aufgezeigt, wie sich die sozialen Verhältnisse in Europa und Amerika während der letzten 200 Jahre hin zu mehr sozialem Ausgleich verändert haben. Diesen Veränderungen gingen jedoch gewaltige politische Katastrophen voran, mit dem Höhepunkt der beiden Weltkriege im 20. Jahrhundert. Profitiert von den Veränderungen hat vor allem der Mittelstand, die mittleren 40 %, der seinen Anteil am Gesamtvermögen ausbauen hat können, während der Anteil der ärmsten 50 % am Vermögen sich in diesem Zeitraum nur geringfügig verbessert hat. Und auch wenn das Vermögen der reichsten 10 % relativ abgenommen hat, bleibt ihre Eigentumskonzentration immer noch unverhältnismäßig hoch.
Ein weiteres zentrales Thema des Buches beschreibt die negativen Folgen des Erbes der Sklaverei und des Kolonialismus, der einen wesentlichen Anteil am wirtschaftlichen Vorsprung und der Vormachtstellung der USA und Europas trägt. Neben der wirtschaftlichen Abhängigkeit der Entwicklungsländer von den Industrieländern hat sich in den Kolonien die massive ungleiche Einkommensverteilung zwischen reich und arm bis in die Gegenwart aufrechterhalten können und ein Entstehen einer einflussreichen Mittelschicht verhindert.
In seinen Lösungsvorschlägen fordert Piketty den Ausbau des Sozialstaats und die Erhöhung des progressiven Steuersatzes auf die höchsten Einkommen, sowie den Ausbau der Vermögens- und Erbschaftssteuer, um einen sozialen Ausgleich mit dem vermögendsten Teil der Bevölkerung herzustellen. Neben zahlreichen Beispielen, wie z.B. einen Anspruch auf ein allgemeines Erbe für alle Bürger oder eine Grundabsicherung gilt es auch in den Wirtschaftsbeziehungen mit den armen Ländern des Südens neue Modelle einzuführen, die sich auf „universale Werte und auf objektive, überprüfbare Sozial- und Umweltindikatoren“ stützen.
„Wirtschaftliche Fragen sind zu wichtig, um sie anderen zu überlassen. Dass sich Bürgerinnen und Bürger dieses Wissen zurückerobern, ist eine entscheidende Etappe im Kampf um die Gleichheit.“ (S. 264)
In seinem Sachbuch „Eine kurze Geschichte der Gleichheit“ gelingt es Piketty klar und verständlich die wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten innerhalb der westlichen Gesellschaften und zwischen den Industrieländern und Entwicklungsländern aufzuzeigen und auf ihre Ursachen hinzuweisen. Dabei wird deutlich nachgewiesen, dass Veränderungen bisher nur durch Kämpfe, Aufstände und katastrophale Ereignisse in Gang gesetzt worden sind.
Ein überaus informatives Sachbuch, das viel Hintergrundwissen für vergangene und gegenwärtige soziale, wirtschaftliche und politische Verhältnisse bereitstellt und auch Lösungsvorschläge für mehr Gleichheit und Gerechtigkeit anbietet, um die wichtigsten Anliegen und Probleme der Gegenwart bewältigen zu können.
Thomas Piketty, Eine kurze Geschichte der Gleichheit. Übers. v. Stefan Lorenzer [Orig. Titel: Une brève histoire de l’egalité]
München: C.H. Beck Verlag 2022, 264 Seiten, 26,70 €, ISNB 978-3-406-79098-0
Weiterführende Links:
C.H. Beck Verlag: Thomas Piketty, Eine kurze Geschichte der Gleichheit
Wikipedia: Thomas Piketty
Andreas Markt-Huter, 20-02-2023