Ronald Weinberger, Irrlichternde Gedichte

ronald weinberger, irrlichternde gedichteDer wissenschaftlichste Witz aller Zeiten geht in etwa so: Ein Witz kommt auf die Bühne und erklärt, dass er ein Witz sei.

Ronald Weinberger reizt mit seinem Lyrik-Potpourri „Irrlichternden Gedichte“ jene Grenze aus, die zwischen Humor und Wissenschaft, Witz und Traktat liegt. Dabei tut sich ein unerwartetes Problem auf: Wächst der Humor mit dem Wissen mit? Oder trennen sich die beiden während des Gedichtes, wenn es ihnen zu viel wird?

Der Autor ist durch seine Universitätskarriere an die Wissenschaftssprache der Astronomie gewöhnt und von ihr gezähmt worden. Jetzt im Ruhestand versucht er, sich von dieser Wortführung zu befreien und in beinahe schon brachialer Art eine naive, trinkbare Sprache hervorzukramen, die offensichtlich während der Studentenzeit zum Schweigen gebracht worden ist.

Fakt ist, dass man die einmal aufgebaute Wissenschaft nicht mehr aus dem Kopf vertreiben kann. Sie schlägt durch, auch wenn man sie in ein schlichte Zeilen presst, die sich womöglich noch reimen.

Schon die Präambel zeugt von diesem Dilemma. Autor und Leser wissen, dass es den Begriff Präambel gibt und dass man diesen dem Text voranstellt, um eine gewisse Richtung vorzugeben. Im „irrlichternden“ Fall jedoch heißt es „Prä-Dingsbums“ und es bedeutet im Sinne des Trinkliedes:

Gepriesen sei er, der Humor! / Ob schwarz, ob schräg, auch kommt es vor / dass er ins Sinnfreie entartet […] (10)

Dieses Dingsbums erweist sich als ideale Beschreibung des Dadaismus, den man freilich hundert Jahre nach seiner Erfindung als Post-Dadaismus bezeichnen müsste.

Das letzte Kapitel der Gedichtsammlung greift dann auch mit beiden Händen in den Fundus des Dadaismus und schöpft sogenannte geometrische Literatur daraus. Diese visuellen Texte lassen sich mit Probeblättern für einen Laserdrucker vergleichen. Das Layout wird an die Grenzen des Lesbaren vorangetrieben, wenn nicht gar über das Papier hinaus. Klassisches Urbild für diesen Layoutismus ist die graphische Sanduhr, in der oben eine Weisheit hineingeschnitten wird, die an der Unterseite als Humor herauskommt.

„Linksgedrehtes Larifari“ nennt sich eine Irritation, die zuerst rechtsbündig gedruckt ist, dann aber die eigene Überschrift liest und tatsächlich auf linksbündig wechselt.

In einer Muttertag-Variation ist der Buchstabe M als „Mama mia“ ausgestaltet, die Sanduhr hat in diesem Falle zwei Einfüllstutzen.

In den fünf Hauptkapiteln geht es vor allem um Aphoristisches, das aus den Stoffgebieten Tier, Pflanze, Kosmos, Latein und inverses Element („Bunterkuntes Einanderdurch“) gespeist wird. So erhebt sich aus dem Text ständig das Glas, um im Trinkgestus bestoßen zu werden.

Im Zweifelsfalle bricht der Intellekt durch, und man fragt sich als Leser, warum lässt mich der Autor nicht an sein tatsächliches Wissen heran und stößt mich mit trivialen Formulierungen von sich. Die irrlichternden Gedichte nämlich brauchen allerhand Bei-Wissen, dass man sie verstehen kann.

Dabei tun sich zwischen dunklem Weltraum und hellem Papier für die Lyrik allerhand Parallelen auf. Wer denkt nicht an einen Witz, wenn er vom schwarzen Loch hört? Und wer fasst sich nicht beim Wort unendlich an den eigenen Kopf, um dessen Ausmaße abzutasten?

Phasenweise entsteht der Eindruck, der Autor müsste sich von einer schweren Lebenslast befreien, indem er in Kinderreime ausbricht, um den verhassten Wissenschaftsbetrieb hinter sich zu lassen mit dessen Haupttugenden von Zitieren, Antichambrieren und Ignorieren.

Interjektionale Kombinatorik // Eja popeija was raschelt im Wasser? / Es ist ein Fischlein, das wird nimmer nasser. (79)

Als Kritik am gegenwärtigen Uni-Treiben, das meist mit einem Bachelor to Go endet, sind die lyrischen Irritationen bestens geeignet. Sie lassen auch den Traum eines jeden Ruheständlers durchschimmern, einmal noch jung und blöd sein zu dürfen, um diese Sau herauszulassen, die sich während der Arbeitsjahre auf die Seele gelegt hat.

Aber leider ändert sich die Jugend mit jeder Zeile, mit der wir sie in Erinnerung rufen. So sitzen wir bei den irrlichternden Gedichten irgendwie in einer falschen Disko, die uns mit ihren Flashes zu erregen versucht.

Ronald Weinbergers Lichtblitze sind freilich durchaus professionell promotet und funktionieren im Alltagsbetrieb. Der Rezensent durfte einmal einen Tag lang in Graz alle Straßenbahnlinien abfahren, worin auf den Displays die Spots und Gedichte des Autors angespielt wurden. Immer wieder geriet das Publikum, ohne es zu merken, ins Schmunzeln, wie das beim Straßenbahnfahren nicht immer der Fall ist. Am meisten geschmunzelt wurde auf der Linie 1 am intellektuellen Ast hinauf nach Maria Trost, wo viele Hofratsvillen die Gleise säumen. – Beim richtigen Publikum funktioniert eben jede richtige Lyrik!

Ronald Weinberger, Irrlichternde Gedichte.
St. Johann: Verlag Hannes Hofinger 2022, 113 Seiten, 9,90 €, ISBN 978-3-9505074-2-3

 

Weiterführende Links:
Hannes Hofinger Buch-Service: Ronald Weinberger, Irrlichternde Gedichte
Hannes Hofinger Verlag
Wikipedia: Ronald Weinberger

 

Helmuth Schönauer, 28-04-2022

Bibliographie

AutorIn

Ronald Weinberger

Buchtitel

Irrlichternde Gedichte

Erscheinungsort

St. Johann i. Tirol

Erscheinungsjahr

2022

Verlag

Verlag Hannes Hofinger

Seitenzahl

113

Preis in EUR

9,90

ISBN

978-3-9505074-2-3

Kurzbiographie AutorIn

Ronald Weinberger, geb. 1948 in Bad Schallerbach, ehemaliger Professor am Institut für Astronomie an der Universität Innsbruck, lebt in Zirl.