Laura Weidacher, Inselland

laura weidacher, insellandWas für eine Verheißung! Inselland – ein doppeltes Glücksversprechen, wenn die lyrische Seele sich auf eine Insel zurückzieht und gleichzeitig über weites Land schwebt.

Laura Weidacher steckt schon im ersten Gedicht den Claim ab, auf dem sich später das lyrische Ich bewähren wird im Sturm, der die heftige Witterung vor sich hertreibt, um Platz zu machen für die neuen Jahreszeiten, die er im Schlepptau hat.

„Inselland // Das Land ist eine Insel / umspült von Bäumen und Bergen / die Quais befestigt mit Stahl und Gold // Vierflössler, ungeschuppt / treiben die Bewohner am Strand / wasserlos reibt sich die Haut am Goldgrund // Tot ruht der Reichtum tief in den Tresoren / und die Trutzburg taub für das Brausen / des Weltwinds von Süden her“ (9)

Während sich das pure Bild vor einem ausbreitet wie eine Hafenszene niederländischer Meister, schlagen politische Konnotationen durch, die Insel der Seligen drängt sich vor, oder die Schweiz als Tresor, der vom Süden her mit Geld gespeist wird. Und mit der nächsten Böe tut sich der gesamte Gedichtband auf: In sechs Abschnitten ist das lyrische Ich stets in Bewegung, am liebsten in einem Speisewagen oder Nachtzug, worin sich dem Wechsel von Landschaft und Jahreszeiten draußen am besten trotzen lässt.

Züge treiben uns nachts durch das Land / rasend heiß, ungekühlt (15)

Auf Inselland gibt es zwar die üblichen Witterungen und Jahreszeiten, aber sie wechseln sich blitzschnell ab, nicht einmal ein Kapitel lang hält es der Winter aus, dann gibt es schon einen vorgezogenen Vogelzug und der Frühling ist da, freilich als gewaltiger Ansturm, der die Dinge aus ihrer Verankerung reißt.

Einem Abrisskalender vergleichbar tauchen die Tagesmotive jäh an der Wand auf, werden abgearbeitet und am nächsten Tag als zerknülltes Blatt abgelegt, während der neue Tag erscheint.

Fronleichnam zum Beispiel, wo plötzlich weiß gewandete Engel aufsteigen und mit flatterndem Flügelschlag aus dem Hügelland fliegen. (29) Die Blume, die zu Hause wartet, läutet bereits das nächste Gedicht ein: Im Park, nach einer alten Weise. (32)
Es ist eine alte Weisheit, dass sich Gedichte oft an den Händen nehmen wie bei einem spontanen Ringelspiel, die Gedichte von Witterung und Licht freilich gehen zudem noch ineinander auf wie die Isobaren-Ketten auf einer Wetterlandschaft.

Ständig wandern die Luftdrücke und bringen frische Motive angeschleppt, die sich als namenlose Hochs und Tiefs zeigen. Wolkenhaftes (37), Hoher Sommer (41), Herbstbeginn (44). Während Gedichtbände mit Jahreszeiten es meist nach einem Durchlauf genug sein lassen, sobald ein Jahreskreis abgeschlossen ist, drehen sich in „Inselland“ die Gedichte stets weiter und wühlen Blätter auf, Staub und Erinnerung.

Einmal kommt kurz „das Garn der Zeit“ zum Vorschein und führt verschämt hinein in die Liebe. (62) „Liebe // Eine Nacht / ohne Sterne / ein Vogel / ohne Stimme / ein Blatt / ohne Baum // bin ich ohne dich.“ (62)
Nach diesem Tiefschlag, den das lyrische Ich unter Aufgabe der eigenen Identität erleidet, steht noch ein Drittel Gedichte am Programm.

Waisen der Zeit nennen sich jene, denen das Zeitgefühl abhandengekommen ist, sie haben die Zeiger auf der Uhr verloren, und wohl auch ein wenig von sich selbst.

Ab und zu wird es auffallend hell in den Gedichten, sogenannte „Fensterbilder“ poppen auf, sie sind plötzlich zweiseitig und ausgestattet mit einem linken und einem rechten Seitenflügel. Aber das Licht währt nicht lange, der Geliebte muss zurück in sein dunkles Fenster schlüpfen, während der Mond wahrscheinlich zu viel Absinth erwischt hat, grün, wie er plötzlich ist. (79)

Die Erinnerung an Vater und Mutter ist umsäumt von Gedichten über den Zahn der Zeit und das Alter. Die Botschaft mündet in einem „Vermächtnis“. „Zurück bleiben / wird nur ein Klang / ein Lachen / und Schluchzen / ein Leben / Goldstaubgeflimmer / der Nachmittagssonne / Tränen / Glück“ (95)

Hiermit schließt sich der Kreis vom „Goldgrund“ des ersten Gedichts zum „Goldstaubgeflimmer“ im letzten.

Seit das Wetter in der Wahrnehmung intensiver geworden ist und als politischer Impulsgeber für Endzeit und Klimawende herangezogen wird, wirken auch Evokationen von Wettereskapaden umso bedeutsamer. Redete man früher vom flachen Frieden des Smalltalks, wenn man über das Wetter redete, so ist man gegenwärtig mitten in heißesten Diskussionen, wenn es um Sommertage und glühende Hügelketten geht.

Laura Weidachers Inselland lässt sich vordergründig „romantisch“ lesen, immerhin zitiert sie „alte Weisen“ oder gar den Eichendorff (11). Aber da gibt es auch die andere Seite, wenn sich eine politische Verabredung durch einen Ventilator quält, eine Sonnenfinsternis zu verstehen gibt, dass es aus sein könnte, oder der Frühling über Nacht das Land zum Erstarren bringt, weil aus den ersten Blüten spontan pandemisch Krankheit und Tod hervorbrechen.

In diesem Licht sieht man plötzlich die Apokalypse zwischen den Zeilen, wenn man sie schräg genug ins Leselicht hält.

Und für diese Sichtweise gibt es noch wenig poetische Erfahrung. Darf man schon sagen, das sind schöne Untergangsgedichte, voller Ästhetik und Apokalypse?

Laura Weidacher, Inselland. Gedichte
Innsbruck: Edition Laurin 2022, 95 Seiten, 19,00 €, ISBN 978-3-903539-17-4

 

Weiterführende Links:
Edition Laurin: Laura Weidacher, Inselland
Lexikon Literatur in Tirol: Laura Weidacher

 

Helmuth Schönauer, 10-09-2022

Bibliographie

AutorIn

Laura Weidacher

Buchtitel

Inselland. Gedichte

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2022

Verlag

Laurin Verlag

Seitenzahl

95

Preis in EUR

19,00

ISBN

978-3-903539-17-4

Kurzbiographie AutorIn

Laura Weidacher, geb. 1940 in Innsbruck, lebt im Schweizer Jura.