Albert Ennemoser, Geschichten und Bilder
Im Zeitalter der Digitalisierung ist es vielleicht die Hauptaufgabe eines Buches, haptisch unterwegs zu sein. Viele Sinneseindrücke lassen sich digital erregen, das taktile Aufschreien der Sensoren freilich, wenn Kunst auf den Körper trifft, lässt sich nur haptisch analog produzieren.
Albert Ennemoser ist in mehreren Genres und Künsten unterwegs. Seine „Geschichten und Bilder“ sind als eine Art Anleitung zum Gesamtwerk zu lesen. Aus diesem Grund erscheint das Buch mit zwei Bildern als Vorder- und Hintercover, die buchrelevanten Angaben nach Verlag, Autor und Titel sind auf den Buchrücken verschoben, wo sie letztlich den größten Nutzen entfalten, denn vom Buch sieht man meist nur das Rückgrat.
Umrahmt sind die Bilder und Texte mit einer editorischen Notiz vorne, worin Größe der Werke und Aufmachung der Texte angeführt sind, und zwei autobiographischen Notizen hinten: „Warum ich Bilder mache / Warum ich schreibe“ (127/129)
Beide Kunstgattungen sind als die Lebenshaltung eines Reisenden erstmals richtig ausgebrochen während seines langen Aufenthaltes in Schottland. Mittlerweile äußerlich sesshaft geworden, ist die Reise noch immer nicht zu Ende, denn der Meister hat ein Geheimrezept für den Umgang mit der Kunst. „Nun kann ich mich beim Schreiben von der Bildenden Kunst erholen und umgekehrt.“ (129)
Die zehn Geschichten sind als kleine Szenen ausgearbeitet, in denen es für einen Augenblick gefährlich, erhellend, vernichtend oder sonst wie dramatisch wird.
Im harmlos aufgemachten „Handel“ (9) kommt es zu einem irritierenden Deal. In klandestinem Ambiente erwartet der Exbürgermeister einen späten Gast, um ihm eine Violine zu verkaufen. Aber die Geschichte hat einen Haken, die Violine ist seinerzeit bei der Exekution von Roma „übriggeblieben“. Und der Gast trägt einen Namen, der plötzlich alles wieder aus dem Dunkel der Geschichte holt. Weinrich, ein bekannter Musikername! Jetzt stehen sich der Überlebende von damals und sein Exekutor gegenüber, beide wissen nicht, was man in dieser Situation sagen sollte. Am besten bringt man den Handel still über die Bühne. Der Musiker kauft sich seine Violine zurück, der Täter macht sich bereit für eine Schachpartie im Club. Nur kurz ist das Ungeheure aufgeblitzt, ehe die Geschichte wieder ihren kalten Mantel über das Unsagbare wirft.
Cora gilt landläufig als seltsame Person, die viel vom Leben gesehen hat und offensichtlich auch mit jenseitigen Kräften in Kontakt steht. Als sie begraben wird, wirft sie noch einmal ihre magischen Kräfte in die Waagschale, indem sie Bilder ohne Grund in Schwingung versetzt, sodass sie plötzlich schief an der Wand hängen. Die Dorfbewohner winken ab, sie ist halt schon immer ein echter „Poltergeist“ gewesen. Und tatsächlich, draußen fährt ein Traktor durchs Dorf und bringt die Wände zum Zittern. Es lässt sich heutzutage alles logisch erklären, was man nicht erklären kann.
Das Unerklärliche wird im Volksmund gerne „Schnapsidee“ (20) genannt. Wehe dem, der davon heimgesucht wird. Ein heller Kopf liest schon ein Leben lang alles über Erfinder, weil diese ihm am ehesten die Zukunft der Welt erklären können. So ist es kein Wunder, dass seine eigenen Erfindungen sofort als Schnapsideen abgetan werden. Dabei wirken sie ziemlich überzeugend: Wenn es auf der Welt gerecht zugeht, braucht man weniger Mittel für kriegerische Auseinandersetzung. Und wenn man dort, wo jetzt Strommasten stehen, Windräder baut, kann man sogar die Welt retten.
Die meiste Zeit freilich haben es die Helden mit einer besonderen Feinausstattung der Sinne mit der Erkenntnis zu tun. „Nichts ist so, wie es scheint!“
Diese Botschaft steckt nicht nur hinter den Bildern, die zwischen die Texte gestellt sind, manchmal lösen sich die Helden geradezu auf, wenn sie ihre Wahrnehmung bildhaft zum Ausdruck bringen.
Jemand findet einen toten Jäger unterhalb eines Jagdstandes. Als er den Fund meldet, schleichen sich sofort andere Jäger weg, um die Spuren des Jagdunfalls zu beseitigen. Der Dumme ist wieder einmal jener, der vorgibt, den toten Jäger gesehen zu haben. Dieser nämlich ist schon längst beiseitegeräumt, und die Jagd ist wieder unsichtbar wie immer.
Ein anderer findet in verwachsenem Gelände den Eingang zu einer Höhle, die er mit den Buchstaben I C H kennzeichnet, damit er sie wiederfindet. Als ihm niemand glaubt, dass es diese Höhle gibt, sucht er sie abermals auf und verkriecht sich in ihr. Jetzt ist er endgültig in sich selbst verschwunden.
Die Geschichten sind ein idealer Begleittext für die Bilder, die als Installationen, Gemälde, Zeichnungen und Konzeptentwürfe ausgelegt sind. Alle sind im Sinne einer Geschichte mit einem selbsttragenden Titel versehen: Pelzmantel am Inn / Was ist das? / Good bye! / Holz und Wind.
Die Metaebene wird oft zu einer Lasur aus Ironie, während das Ironische aufgelöst wird durch einen sogenannten Hintersinn. So sieht man etwa im „Denkmal“ (58) ein dekonstruiertes Gebilde, das einmal eine wertvolle Inschrift getragen hat. Freilich ist das Fundament verlorengegangen und die Spitze des Obelisken ist abgebrochen. Es lässt sich nicht sagen, ob das Denkmal beim Aufbau oder Abriss kaputtgegangen ist.
Das Haptisch-Handliche des Albert Ennemoser täuscht; in seinem Werkbüchlein stellt er Sehweisen vor, die weit über alle Galerien und Depots hinausragen. Nicht umsonst spielen viele seiner Werke am Fluss, der in einem einbetonierten Flussbeet auf „panta rhei“ macht.
Und im linken Klappentext ist die finale Weisheit eingeritzt.
Humor ist der Wanderstab des Lebens.
Albert Ennemoser, Geschichten und Bilder. Bilder: Albert Ennemoser
Innsbruck: Tiroler Autorinnen und Autoren Kooperative TAK 2022, 129 Seiten, 20,00 €, ISBN 978-3-900888-81-7
Weiterführende Links:
TAK: Albert Ennemoser, Geschichten und Bilder
Homepage: Albert Ennemoser
Helmuth Schönauer, 28-10-2022