Ulrike Kotzina, Melange an der Donau

ulrike kotzina, melange an der donauDie zwei positiven Zutaten Fluss und Getränk ergeben bei gutem Licht ein anregendes Denk- und Sitzklima. „Melange an der Donau“ beschreibt eine Menge Stimmung, die in einem Stillleben kulminiert, worin bei guter Witterung Menschen im Freien sitzen und auf die Donau blicken, während sie die Melange umrühren.

Ulrike Kotzina hat in ihre „Erzählmelange“ elf Geschichten gepackt, die aber nicht über ein Inhaltsverzeichnis abrufbar sind, sondern nach dem Muster eines Romans durch chronologische Lektüre erarbeitet werden müssen. Wie bei einer echten Melange gehen die Zutaten fließend ineinander über und führen Licht und Schatten, Süßes und Bitteres, Ernst und Ironie zusammen, bis sich daraus der Grundton entwickelt: eine melancholische Heiterkeit.

Im Lichte intimer Erotika, Gspusis, Techtelmechtels, schmachtender Liebesszenen und entgleister Lebensentwürfe dürfen die Leser jäh Zeugen werden, wenn die Romantik sachlich wird und die Gefühle wieder in die Fotoschachtel zurückgelegt werden, nachdem sie als kurzer Stoß aus dem Parfum-Flacon aufgestiegen sind.

Meist kommt eine Ich-Erzählerin unvermittelt in eine verfilzte Situation, woraus es einen Knäuel lang keinen Ausweg gibt, ehe der Erzählfaden dann aus dem Korsett höchster Individualität entschwindet und wieder zum Allgemeingut wird.

In der ersten Geschichte, ebenjener von der „Melange an der Donau“ (5), berichtet die Freundin aufgeregt von einem Tanzlehrer, in dessen Bett sie bei einem Abenteuer einen fremden Ohrring gefunden hat. Sofort greift sich die Erzählerin ans eigene Ohr, ob noch alles dran ist, schließlich hat auch sie eine Affäre mit dem von Tanzhormonen gesteuerten Nimmersatt. Die Heldin ist freilich klug genug, nichts zu enträtseln, und hält sich an das Gebot: genießen und schweigen.

„Die Hintertür“ (14) erzählt von der Hinterseite der Wahrheit. Eine Frau wohnt mit einem Mann in einem Häuschen, zu dem es zwei Zugänge gibt, den offiziellen und jenen durch die Hintertür. Je nachdem, wie die beiden das Grundstück betreten haben, gibt es verschiedene Wahrheiten. Offiziell ist vieles ritualisiert und entspricht den Bildern, die mit entsprechenden Verhaltens-Apps zu managen sind, über die Hintertür freilich tun sich groteske Gefühlslagen auf, die Szenen werden umso zwielichtiger, je öfter der Erzählerin das Menetekel GEFAHR DURCH WAHRHEIT in den Kopf schießt. – Und tatsächlich ist nichts so, wie es scheint, wenn man durch die Hintertür kommt.

In einer echten Melange kommt beim Erinnern die Kindheit hoch, anders als sie in Fotos abgelichtet ist. „Das Haus meiner Eltern“ (28) bringt Idylle zum Vorschein, Sommer, Freiheit und helles Licht, das ab und zu über die Überschwemmungsgewässer streicht, wenn der Regen vorbei ist. Aber kaum nistet sich das Helle von damals in der Erinnerung ein, wird es auch schon hinweggespült vom Ende des Elternhauses. Eine Autobahn wird gebaut, und die Bagger beenden Gebäude, Kindheit und Glück.

„Austherapiert“ (39) wird als bedrohlicher Begriff wahrgenommen, der eine Krankheit oder einen misslichen Sachverhalt von selbst auslaufen lässt. Eine Psychologin erzählt von Kundschaften, die an Schlaflosigkeit leiden und sich nicht helfen lassen. Mit der Zeit sickert die Ursache durch, sie sind jeweils inkognito aneinandergeraten und haben sich von Schlaflosigkeit anregen lassen. Was sich im ersten Sturm als glücklich machende Schlaflosigkeit zeigt, wird bald einmal eine formidable Krankheit, die jeden befallen kann. Im erzählten Fall wird ein Säugling als Kind alleingelassen und flieht in die Schlaflosigkeit, um jederzeit wach zu sein für eine Liebkosung. Seine Seele findet erst Ruhe, als er nackt in der Haltung eines Säuglings auf der Couch stirbt.

In einer typischen Verlöschungsgeschichte bringt man die demente Tante ins Altersheim, wo sie ihrem Restwortschatz überlassen und sediert wird. Die Erzählerin versucht dieses Versickern der Lebenskraft mit brauchbaren Erinnerungssätzen zu begleiten. „Es ist Zeit“ (81) entpuppt sich dabei als Zauberformel, mit der sich auf ewig Angelegtes in Zeitscheiben zerteilen lässt. Gerade wenn das Spielen am schönsten war, kam der Satz „Es ist Zeit“ und das Kind wurde zu Bett geschickt. Jetzt liegt die Tante da und wartet, dass sie jemand aus dem irdischen Spiel der Existenz reißt. Es könnte die Erlösung sein, wenn jemand sie mit der Zauberformel aus der Kindheit zu Bett schickte.

„Unterirdisch“ (154) überlagert die Geschichte eines Rohrbruchs mit der Verstopfung einer Beziehung. Der Installateur erklärt umfangreich, wie kompliziert die unterirdischen Leitungen verlegt sind. Die vom Chaos betroffene Erzählerin überträgt die Erklärungen auf ihre Partnerschaft, in der ebenfalls alles kompliziert ist. Ihr Mann hat eine Geliebte, die ebenso auf ihn wartet wie sie selbst, wenn er auf Dienstreise im Ausland ist. Während der Installateur im entscheidenden Moment den Pfropfen zieht, löst sich auch das Dreiecksverhältnis mit einem dumpfen Knall. Als am Flughafen die Passagiere ins Empfangsfoyer strömen, ruckelt es im Mann ein wenig, es sind nämlich seine beiden Frauen gleichzeitig da. Die Frau des Problemmanns löst den unterirdischen Konflikt nach Installationsmanier und verschwindet wie ein Pfropfen aus der Beziehung.

In Studien über das Licht, Empfindungen beim Trennen und Zusammenfügen von Fragmenten sowie Kreisbewegungen beim Installieren von Kunstwerken blitzt sie stets auf, diese Melange an der Donau, die ständig gerührt werden muss, um sie trinkwarm zu halten.

Ulrike Kotzina nimmt überraschende Erzählpositionen ein, um abgeklärte Auskennerinnen von der Hinterseite der kleinen Wahrheiten berichten zu lassen. Dabei hält sie sich an das raffinierte Prinzip: Es wird genauso viel hineingerührt in eine Melange, wie später herausgetrunken wird.

Ulrike Kotzina, Melange an der Donau. Erzählungen
Innsbruck: Edition Laurin 2022, 186 Seiten, 21,00 €, ISBN 978-3-903539-16-7

 

Weiterführender Link
Edition Laurin: Ulrike Kotzina, Melange an der Donau

 

Helmuth Schönauer, 10-12-2022

Bibliographie

AutorIn

Ulrike Kotzina

Buchtitel

Melange an der Donau. Erzählungen

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2022

Verlag

Edition laurin

Seitenzahl

186

Preis in EUR

21,00

ISBN

978-3-903539-16-7

Kurzbiographie AutorIn

Ulrike Kotzina, geb. 1970 in Wien, lebt in Purkersdorf.