Christian Kössler, Ein Tor ist, wer im Tor isst

Christian Kössler: Ein Tor ist, wer im Tor isstDie Literatur hat ganz schön Mühe, mit dem Anwachsen der Mediensorten mitzuhalten und dabei vielleicht sogar mit eigenen Genres zu kontern. Allen Anstrengungen gemein ist freilich die Aufgabenstellung, die der Germanist Stefan Neuhaus der Gegenwartsliteratur zugeschrieben hat: „Literatur ist Vermittlung.“

Christian Kössler ist als Bibliothekar von Natur aus Literaturvermittler. Die Betreuung der Klientel besteht im Kern darin, Literatur aus dem Regal zu nehmen und zumindest für Augenblicke zum Leben zu erwecken. Für diese Inszenierungen von Buchinhalten gilt es mindestens so viele Register zu ziehen, wie beim Spiel einer Orgel. „Mit Hand und Fuß musst du vorlesen“, heißt es im Bonmot.

Neben diesem Kerngeschäft betreibt Christian Kössler diverse Studien zu sogenannten Spannungspunkten der Alltagskultur. Dabei ist er vor allem mit dem Gruselfaktor über Land unterwegs und stellt in sorgsam ausgewählten Events kleine Schauder vor, die einem beim Lesen unerwartet über den Rücken rinnen können. Die Literatur dient dabei als Begrenzung der Fiktion, das dargestellte Grauen überschreitet daher niemals den guten Geschmack oder die Würde des Menschen.

Ein ähnliches Phänomen wie das Grauen in der Literatur stellt zumindest in Österreich der Fußball in der Hemisphäre des Sportes dar. Fußball ist unter anderem Kultur, und ein Fußballspiel ist ähnlich strukturiert wie ein Roman. – Dieses Diktum des Fußballgermanisten Wendelin Schmidt-Dengler stand seinerzeit Pate, als die sogenannte österreichische Fußball-Literatur-Nationalmannschaft gegründet worden ist.

Dabei absolvierte die Mannschaft in allerhand Teilen Europa Länderspiele, nachmittags auf dem Feld, später am Abend im Lesesaal, und ganz spät schließlich in der Denker-Lounge des Hotels.

Christian Kössler war jahrelang Tormann dieses Schreib-Wunderteams und hat sich auch außerhalb des Schreibrasens zwischen den Pfosten bewegt, indem er als echter Tormann in diversen Fußballligen gespielt hat. Seine „Mission“ hat er dabei direkt aus Franz Kafkas „Türhüterparabel“ abgeleitet, die von jenem Lebenssinn ausgeht, wonach für jeden Menschen ein persönliches Tor gebaut ist, durch das er gehen muss.

Im aktuellen Leitfaden über Tore, Pfosten, Bälle und Fiktion greift er einen Spruch auf, den er heute den Kids mühsam erklären muss, da diese mittlerweile auf jegliche Art von Rechtschreibung pfeifen. Der Unterschied zwischen Essen und Sein ist in weiten Bevölkerungsschichten mittlerweile aufgehoben und muss mühsam für einen Witz erklärt werden.

Zum Beispiel wird beim Lesen, Lernen, Spielen, Kicken und Meditieren überall gegessen, die Beratungen in einer Bibliothek finden statt, indem die Kundschaft etwas zu sich nimmt, bei Behörden sind ohnehin Handy und Snack Pflicht, wenn es um Parteienverkehr geht, ja selbst bei Gerichtsverhandlungen ist es mittlerweile üblich, dass Delinquenten etwas zu sich nehmen, ehe das Urteil verkündet wird.

In dieser kulturellen Aura bekommt der magische Satz „Ein Tor ist, wer im Tor isst“ einen Sinn, wie ihn die meisten noch nie gehört haben. Hinzu kommt noch die Doppeldeutigkeit des Tors, denn dieses wechselt fallweise das Geschlecht und aus dem Tor wird der Tor, der es vielleicht als Torwart kassiert hat.

An diesen Sprachspielen um Selbstverständliches und Verlorengegangenes entwickelt Christian Kössler seine Performances, die mit Anekdoten, pädagogischen Grundüberlegungen, Gedanken zu Schein und Sein, und viel Lebenswitz und Lebenserfahrung unterlegt sind.

Das Buch ist dabei als Teller zu sehen, auf dem die Performance serviert wird und nicht als Selbstzweck. Selbst später zu Hause im Regal stehend entwickelt das Buch sofort wieder eine Brücke zur erinnerten Veranstaltung.

„Literarisches aus der Torhüterperspektive“, heißt es im Untertitel, der die Analogien zwischen Fußall und Literatur beschreibt. Allein schon, wie ein Ball auf einen im Tor Stehenden einprasselt, lässt sich mit einem Stoff vergleichen, der auf einen Autor einstürmt, während dieser zwischen den Pfosten der Buchseiten sitzt.

Phasenweise sind im Buch ganze Tourneen als Anekdoten abgebildet, dabei ist es im Sinne von Essen und Sein notwendig, dass man sich nicht an die kassierten Tore erinnert, sondern an die verzehrten Speisen der jeweiligen Region.

Über das Fußballthema hinaus lassen sich mit diesem Buch bestens kleine Macken, Besonderheiten und Liebenswürdigkeiten von Mitspielern erzählen, die zusammen einen „lustigen Haufen“ ergeben, der seinen Sport augenzwinkernd ernst betreibt. Eine ähnlich freundliche Stimmung entsteht auch bei der Aufbereitung literarischer Anekdoten.

Christian Kössler hat letztlich mit seinen didaktischen Leseevents ein eigenes Genre entwickelt, das verlässlich nach zwei Halbzeiten aus ist und die Anwesenden in angenehme Erschöpfung bringt, wie wenn sie das Spiel gewonnen hätten.

Christian Kössler, Ein Tor ist, wer im Tor isst. Literarisches aus der Torhüterperspektive, Illustrationen
Innsbruck: Studia Verlag 2022, 76 Seiten, 15,00 €, ISBN 978-3-99105-031-5

 

Weiterführende Links:
Studia Verlag: Christian Kössler, Ein Tor ist, wer im Tor isst
Wikipedia: Christian Kössler

 

Helmuth Schönauer, 28-01-2023

Bibliographie

AutorIn

Christian Kössler

Buchtitel

Ein Tor ist, wer im Tor isst. Literarisches aus der Torhüterperspektive

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2022

Verlag

Studia Verlag

Seitenzahl

76

Preis in EUR

15,00

ISBN

978-3-99105-031-5