Volker Reinhardt, Montaigne - Philosophie in Zeiten des Krieges
„Die so unverbindlich und tiefenentspannt daherkommenden, scheinbar willkürlich von einem Thema zum anderen springenden Essais sind in Wirklichkeit ein hoch konzentriertes, hoch politisches und daher äußerst «engagiertes» Buch, das nicht nur die Ursachen der mörderischen Konflikte ergründen, sondern diese auch beheben helfen möchte, das also nicht nur verstehen, sondern auch und vor allem verändern will.“ (S. 12)
Volker Reinhardt geht in seiner Biographie dem Leben und Denken des eigenwilligen Philosophen Michel de Montaigne nach, der sich im 16. Jahrhundert, in einer Zeit grausamen Bürgerkriegs zwischen Katholiken und Calvinisten grundlegende Gedanken über das menschliche Wesen und über die Möglichkeit eines friedlichen Zusammenlebens macht.
Montaigne gilt als Erfinder der Gattung Essay, die wissenschaftliche, historische, kulturelle und gesellschaftliche Phänomene geistreich betrachtet. Gleich zu Beginn verweist Reinhardt darauf, dass die persönlichen, oft im Plauderton gehaltenen Ausführungen Montaignes in seinen Essais stets vor dem Hintergrund seiner Zeit zu lesen sind.
„Ihre intellektuelle Brillanz und Schärfe, ihren unwiderstehlichen Zugriff und ganzen Biss entfalten seine Essais nur in ihrer polemischen Auseinandersetzung mit dem Geist oder besser: Ungeist seiner Zeit.“ (S. 14)
Dabei ergeben sich bei der anscheinend leichten Lektüre seiner Essais zahlreiche Widersprüche und Montaigne zeigt sich bei näherer Betrachtung als „begnadeter Fälscher“ und virtuoser „Irreführer seines Publikums“ und das Bild, das er den Lesern von sich selbst bietet, als „kunstvoll konzipiertes und sorgsam umgesetztes Konstrukt“ (S. 15).
In weiterer Folge geht Reinhardt dem „wahren“ Montaigne nach und versucht dessen Leben nachzuzeichnen. Im ersten Kapitel „Herkunft und Jugend“ wird das Selbstbildnis Montaignes über seine Herkunft der Wirklichkeit seiner Familie gegenübergestellt, die als soziale Aufsteiger in den Stand des Roben- oder Amtsadels gelangt war, der jedoch weit unter dem Geburtsadel angesiedelt war. Berichtet wird von Montaignes Spracherziehung und schulischen Bildung auf dem Collège de Guyenne. Während diese Zeit wurde die vormals stolze und unabhängige Stadt Bordeaux nach einem Aufruhr unter königliche Zwangsverwaltung gestellt.
Das zweite Kapitel „Karrierehoffnungen, Karrierebrüche“ beschreibt Montaignes Leben zwischen 1549-1570, wo er über die Beziehungen seines Vaters, dem Bürgermeister von Bordeaux, mit einundzwanzig Jahren eine Stellung als Steuerrichter antrat, ohne geprüfter Jurist zu sein. Doch bald schon kommt seine Karriere ins Stocken und er wird wegen seines „lebhaften Charakters“ während der vierzehn Jahre bei Gericht nie befördert.
In den folgenden Kapiteln steht Montaigne als Schriftsteller im Mittelpunkt, wobei zunächst sein Leben als Schlossherr inmitten des tobenden Bürgerkries zur Sprache kommt sowie die Herausgabe des Werks seinen Freundes Etienne de la Boétie und die Erhebung zum Ritter des königlichen Ordens vom heiligen Michael. Die weiteren Ausführungen behandeln die Entstehung und inhaltlichen Positionen seiner Essais von 1580.
Daran anschließend kommt Montaignes Reise zwischen 1580-1581 nach Rom zur Sprache, in denen er seine distanzierten kritischen Selbstbetrachtungen weiter vorantreibt und die in ihrem ändernden Blickwechsel und Angaben der Reisegeschwindigkeit gewisse Rätsel aufgeben. So wird er noch während seines Romaufenthalts einstimmig zum Bürgermeister von Bordeaux gewählt und lässt sich bei seiner Heimreise trotz königliche Ermahnung übermäßig Zeit, um sein Amt anzutreten. Auch die Schrift selbst wird zunächst in der dritten Person von einem angeblichen Diener verfasst, um später in der Ich-Form weitergeführt zu werden. Außerdem wechselt die Sprache vom Französischen ins Italienische.
Das folgende Kapitel berichtet von den Mühen der Politik während seiner Zeit als Bürgermeister, seine Wiederwahl und Arbeit, wo er auch zwischen die kriegführenden Fronten geriet sowie von der Entstehung der Essais von 1588. Den Ausklang macht das abschließenden Kapitel „Ruhe und Resignation – Die letzten Jahre“ bis zu seinem Tod im Jahr 1592.
Volker Reinhardt entwirft in seiner lesenswerten Biographie das außergewöhnliche Leben des französischen Philosophen Michel de Montaigne, in dem er sein Denken und Werk in das historische Umfeld der Zeit der französischen Religionskriege einbettet. Dabei zeigt er mit viel Esprit auf, wie spielerisch Montaigne seine persönliche Biographie manipuliert, um seine grundsätzlichen Ausführungen über das Wesen des Menschen und die gewalttätigen Verhältnisse seiner Zeit zu begründen.
Die ebenso profunde wie bemerkenswerte Analyse von Montaignes Werk in Beziehung mit dessen Biographie ergeben ein überaus lesenswertes Sachbuch, das zahlreiche neue Einsichten in das Leben und Werk des Philosophen eröffnet und dessen Texten einen zusätzlichen Reiz abgewinnt.
Volker Reinhardt, Montaigne. Philosophie in Zeiten des Krieges. Eine Biographie, zahlr. ill.
München: C.H. Beck Verlag 2023, 330 Seiten, 31,50 €, ISBN 978-3-406-79741-5
Weiterführende Links:
C.H. Beck Verlag: Volker Reinhardt, Montaigne. Philosophie in Zeiten des Krieges
Wikipedia: Volker Reinhardt
Andreas Markt-Huter, 07-09-2023