Klaus Merz, Los

Buch-CoverDie kürzesten Wörter lösen oft die größten Geschichten aus. In diesem kleinen "LOS? ist alles drin: Schicksal, Befehl, Abzählreim, Tombola oder schlicht - was ist los?

Klaus Merz hat die Erzählung dann noch kürzer und straffer gehalten, als es dieses kleine Wort ohnehin suggeriert. Im klassischen Duktus einer Grenzgeschichte bricht Mister Thaler zu einer Bergtour auf, stürzt ab und ist sein Leben los. Von hinten her, als Thaler schon verschollen und gestorben ist, rollt sich sein Leben in flockig leichten aber spitzkantigen Sätzen auf.

Es ist vielleicht das berühmte Dutzendleben, das sich in scharfen Standbildern und kleinen Rucken durch die Zeit schiebt. Aus der Kindheit etwa bleibt ein Verkehrsunfall in Erinnerung, für sich genommen ein formidables Ereignis, aber in der plastischen Ausbringung der Sätze eine geschmeidige Erinnerungsskulptur:

Mitte September sind wenige Meter unterhalb der Garage zwei Autos aufeinander geprallt. Der eine der beiden Fahrer ist mit ein paar Verletzungen davongekommen, der andere ist noch auf der Unfallstelle verschieden. Seither erinnern stets frische Blumen am Strassenbord an den schnellen, unsinnigen Tod des Mannes. (12)

Hier knüpft der Knabe etwa das Bild seines toten Vaters ein, am Gedankenknoten zweigen andere Geschichten ab, Lehrer, die nichts lesen, aber trotzdem die Leselust fördern, literarische Figuren, die gerne ins Gebirge flüchten wie der berüchtigte Lenz.

Aus heiterem Himmel kommt wie eine Zauberformel Franz Kafkas schizoider Satz ins Gedächtnis, wonach Hilfe aus Bregenz komme. Gerade weil die Dinge genau fixiert sind, weichen sie von der Wahrscheinlichkeit genauer Wahrnehmung ab, so soll sich der Herbstanfang 1953 tatsächlich schon am 21. September ereignet haben statt am 23. Schweizer Erzähluhren gehen besonders genau, indem sie an der entscheidenden Stelle abbiegen von den üblichen Fügungen. Mister Thaler kommt hinter einem Sattel von der eigenen Erzählung ab, hört sich selbst das Bein brechen und liegt noch ein paar Stunden in der Geländemulde, ideal, um das ganze Leben vorüberziehen zu lassen.

Jetzt ist echtes "loslassen" angesagt, wie man es in Selbsterfahrungsgruppen lernen kann. Offensichtlich wird Thaler gesucht, zumindest schnurren die Motoren eines Suchflugzeuges im angenehmen Ton einer Erlösungsgeschichte von Saint-Exupery. Die kleinen sexuellen Streiche kommen Thaler wieder in den Sinn, ein Präservativ wird von den Kindern aufgeblasen und zum Platzen gebracht, in einer Neigungsgruppe der Volksbildung probieren steife Bildungsbürger die Geschlechtsorgane der Anwesenden aus, kleine Bildungsstreiche eben.

Klaus Merz erzählt mit "Los" etwas mindestens so Großes wie den "Grünen Heinrich", und je weniger er erzählt, umso größer wird im Kopf des Lesers der Stoff. Los ist eine Implosion ins Wesentliche!

Klaus Merz: Los. Eine Erzählung. Mit. drei Vignetten von Heinz Egger.
Innsbruck: Haymon 2005. 94 Seiten. EUR 14,90. ISBN 3-85218-466-5.

 

Helmuth Schönauer, 01-02-2005

Bibliographie

AutorIn

Klaus Merz

Buchtitel

Los

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2005

Verlag

Haymon

Illustration

Heinz Egger

Seitenzahl

94

Preis in EUR

EUR 14,90

ISBN

3-85218-466-5

Kurzbiographie AutorIn

Klaus Merz, geb. 1945 in Aarau, lebt in Unterkulm/Schweiz.