Philipp Hager, Die Ewigkeit ist vorbei

philipp hager, die ewigkeit ist vorbeiNicht nur Melodien können einem tagelang als Ohrwurm im Kopf herumgehen, auch faszinierend einleuchtende Sätze können sich zu semantischen Schleifen ausdehnen, egal wie richtig oder falsch sie sind.

Philipp Hager ist mit dem Buchtitel „Die Ewigkeit ist vorbei“ eine Art lyrischer Ohrwurm gelungen. Nicht nur, dass der Satz auf alles passt, was an sprachlicher Struktur durch die Gesellschaft schwebt, der Inhalt der „Formel“ relativiert auch das Gesagte und Gehörte, denn nicht einmal auf die Ewigkeit ist Verlass. Sie, die üblicherweise das Zeitmaß aussticht, wird von der Zeit selber überrumpelt und ad absurdum geführt.

Die knapp dreißig Texte sind im Layout eine Kombination aus Gedichten, Notizen und Prosazellen mit hinten offenem Flattersatz. Von den Motiven her gibt es ein starkes Empfindungsfeld aus den Sektoren Lesen und Schreiben, Großwerden als „ewiges Kind“, sowie aus grotesken Einfällen und ordnenden Ritualen, die sich durch den Text schlängeln wie ein Koffer, der nie geöffnet wird. – Niemand ahnte, was im Koffer war. (25)

Die Texte „spielen“ in einem Zwischenreich aus Kindheit, Erinnerung und magischer Entrückung. In der Eingangssequenz ist das Lebensprogramm mit einer Reißzwecke an ein Tor geheftet. (7) Der Schlüssel liegt unter der Matte, ein Raum tut sich auf, wie wenn man eine Airbnb-Unterkunft bezieht, dabei ist es der eigene Lebenslauf, der einem mit einer Reißzwecke irgendwo im Intimbereich angeheftet worden ist.

Figuren aus dem Heiligenkalender der Kindheit, diverse Vorbilder und Vorfahren stolzieren einträchtig durch das Gelände, in dem frisch das Glasfaserkabel verlegt worden ist. Die Person fühlt sich fremd und seltsam ertappt, du musst den Schlüssel wieder unter die Matte legen, sagt der Reflex, und das alles hier zu beenden.

Unter dem Titel „Symbiose“ (9) ist von einer idealen Liebesbeziehung die Rede, die schon auf der Säuglingsstation beginnt. Dieses angesprochene Wesen entwickelt sich mit dem lyrischen Ich mit, durchläuft eine ähnliche Bildungskarriere, betreibt die gleichen Laster und ergänzt die Person mit allen Tricks und Ticks, die es zur Vollendung einer Persönlichkeit braucht. Dieses Wesen ist nicht fassbar und ein Konglomerat aus Schutzengel, Mutterersatz, Geliebten und Heilerin; es erscheint manchmal als Hitze, Pulsschlag und Lebenswille. Vielleicht ist es das Feuer, das im ewigen Licht brennt.

„Ich habe versprochen, dir Dauer zu geben. / Du mir Hitze. / Wir gehören zusammen.“ (10)

Aus einem ironischen Gefäß gespeist sind jedenfalls jene Texte, die das Schreiben, den Literaturbetrieb und das „Fiktionale“ überhaupt streifen. Der lyrische Erzähler ist zwischendurch so gut drauf, dass er alle Preise gewinnt. (11) An anderer Stelle ist das Kind des Schriftstellers von dessen Deutung der Welt dermaßen beeindruckt, dass es sich zum Lebenswunsch hinreißen lässt: Papa, ich werde Schriftsteller!

Dem ist eine Überlegung entgegengestellt, welche Sprache wohl „die Haut spricht“. (30)

Als Sinnbild für ein tragfähiges Programm wird schließlich das weiße Blatt Papier (66) besungen, auf dem andere Schriftsteller ihre Angst beschreiben, die sie regelmäßig befällt. Das lyrische Ich sitzt ebenfalls vor diesem Stück weißen Nichts und fragt sich, wie andere nur Angst beim Schreiben haben können, wo es doch eine wunderschöne Sache ist.

Vorläufig sind die Texte mit handfesten Dübeln der Erzähltechnik ins Papier geheftet. Wenn der Großvater krank ist, muss es geradezu Herbst sein, Krankheit und Tod halten sich am liebsten im Herbst auf, lautet das literarische Gesetz, das sich seit Jahrhunderten bewährt hat.

Eine bewährte Methode, einen Text verlässlich mit Drive zu beschleunigen, ist die leitmotivische Floskel: Als ich ihn das nächste Mal sah. In der Geschichte „Den Ausguss runter“ (51) gehen alle Sequenzen verlässlich den Bach hinunter. Dabei handelt es sich um die Freundschaft zweier an der Musik Interessierter, die sich in der Klassikabteilung eines Tonträgergeschäfts kennenlernen und eine künstlerisch inspirierte Fachfreundschaft eingehen. Jedes Mal wenn das lyrische Ich den anderen sieht, hat sich etwas als Sackgasse herausgestellt oder ist sonst wie den Ausguss hinuntergegangen.

Und Tiere können nicht nur in der Raunacht sprechen, sie können auch hellsehen, wenn man sie nur lässt und gut in den Text einspannt, statt sie irgendwelche Karren ziehen zu lassen. In einem kleinen literaturhistorischen Essay wird poesievoll auf den Zusammenhang von Literaturgeschichte und Zoologie verwiesen, beide haben sich ähnlich entwickelt und werden immer wieder in Engführungen miteinander vertraut gemacht. Eine markante Engführung ist das Poem „Hawl“ (1956) von Allen Ginsberg, wo das Geheul aller Sparten von Lebewesen gebündelt wird.

Die Quintessenz dieser Texte und ihre heilende Kraft durch Verwendung der Ewigkeits-Formel wird zuerst in einem Liebesgedicht angekündigt, in dem es mit dem großen Ding noch nicht ganz geklappt hat.

„An uns ist nichts von Ewigkeit.“ (20)

In „Die Ewigkeit ist vorbei“ (59) bedauert der Held, dass die alten Landkarten vorbei sind, sie hängen an den Wänden als Schmuck und sind sinnlos. Die Gesetzmäßigkeiten von früher gelten nicht mehr. Der Betrachter lässt einen gewaltigen Appell an alle Startups dieser Welt los: Wir brauchen Entdeckerinnen, Entdecker. Wir müssen uns an Masten fesseln und den Algorithmen aussetzen. Die Geschichte des Odysseus spielt jenseits des Zeitmaßes im digitalen Raum.

Wie im Tagesgeschäft der Publikationen üblich, endet dieser Gedichtband mit einer Danksagung. Aber es werden nicht Kuscheltiere, Frau, Kind oder Lektorin bedacht, hier gibt es endlich einen großen Dank an das Leben selbst, an die Helden vom Rang eines Atlas, der die Welt auf den Schultern trägt, Dank auch an den Erfinder des schönen Satzes: Artists are foreigners everywhere.

Auch der Sisyphus wird ironisch bedankt, dass er verlässlich Hindernisse in den Weg rollt, und einen so vor Nachlässigkeit bewahrt. (78)

Philipp Hager, Die Ewigkeit ist vorbei. Gedichte
Klagenfurt: Sisyphus Verlag 2023, 79 Seiten, 12,00 €, ISBN 978-3-903125-73-5

 

Weiterführende Links:
Sisyphus Verlag: Philipp Hager, Die Ewigkeit ist vorbei
Wikipedia: Philipp Hager

 

Helmuth Schönauer, 13-03-2023

Bibliographie

AutorIn

Philipp Hager

Buchtitel

Die Ewigkeit ist vorbei. Gedichte

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2023

Verlag

Sisyphus Verlag

Seitenzahl

79

Preis in EUR

12,00

ISBN

978-3-903125-73-5

Kurzbiographie AutorIn

Philipp Hager, geb. 1982 in Scheibbs, lebt in Wien.