Gerhard Altmann, Nord – Mitte – Süd. Mein Burgenland
In der globalisierten Tourismusindustrie sind viele Wahrnehmungsfelder eingespannt als Hilfswissenschaften, um die Nächtigungen am Laufen zu halten. Selbst die Poetik, seit den Griechen für den Eigengebrauch empfindsamer Seelen entwickelt, scheint in manchen Landstrichen ohne touristischen Aspekt undenkbar zu sein.
Gerhard Altmann legt sich für den Eigengebrauch heimischer Seelen aus diesem Grund ein poetisches Notizbuch zu, worin das eigene Land vermessen, besungen und gewürdigt wird ohne jenen Zwang, daraus etwas Geschäftliches zu generieren.
Das Burgenland wird daher in subjektive Zonen zerlegt, die manchmal geographisch wirken, in der Fügung „überall“ aber poetisch in reinster Form. Die Himmelsrichtungen Nord, Mitte, Süd werden zusammengehalten und aufgefächert mit der schönen Chiffre: „Schlankes Chile“.
Und tatsächlich, wer einmal Chile und das Burgenland in seinen Umrissen auf einer Landkarte gesehen hat, wird entzückt sein von diesem Vergleich.
Im gleichen Atemzug wird klar, dass man die drei Himmelsrichtungen nur gemeinsam denken kann. Für den Autor umfasst die Poesie das gesamte Land, nur die Herangehensweise an die einzelnen Abschnitte ist vielleicht vom Weinbau angeschaut, es gibt ihn in Form von Reben, Getränk und Erinnerung. „Dein Werkzeug ist die Erinnerung“, sagt sich der Autor und schwingt sich dabei hinaus in die Poesie.
„Das ist meine Landschaft. Mein Herzland mit Weingartendraht zum Absprung ins Blau. […] Sitzen und schauen – das kann auch Heimat bedeuten. Ich blicke auf meine Kindheit, nicht zurück, sondern hinab.“ (9)
Abgeklärt auf dem Spannungsbogen der eigenen Biographie achtend, genügen oft Schlüsselwörter wie Nebel, Wein oder Postamt, um in der Klarheit einer japanischen Tuschzeichnung jene Stimmung zu evozieren, die den Betrachter durch Jahrzehnte treu begleitet. Manchmal schweift die Notiz ein wenig aus und wird zu einer Anekdote des Frohsinns, etwa wenn die geglückte Kindheit angerissen wird mit dem lobenden Titel: „Pforrabua“ (18) Der Sohn des Pastors hat offensichtlich die Erwartungen des Dorfes bestens erfüllt und sich so geschickt angestellt, dass auch für ihn selbst etwas Schönes übrig geblieben ist.
Das Auge der Erinnerung zieht nicht nur über das eigene Leben, sondern widmet sich auch dem „Burgenland“ als Heimat, die ab und zu in die ganze Welt hinausstrahlt.
Anlässlich der Leipziger Buchmesse 2023 formuliert der Autor den Welt-Auftritt unter dem Titel „Vom ersten Bröckeln der Berliner Mauer im Burgenland“. (21) Darin ist vom Fallen des Eisernen Vorhangs die Rede, vom ikonenhaften Bild einer Drahtzange in der Hand von EU-Politikern, wenn sie den Zaun in kurzen Sätzen aufschneiden.
Der Lebensmittelpunkt Pöttsching wird mehrfach besungen. Oft geht es nur darum, im Garten zu sitzen und den Kindern beim Spielen zuzusehen. Das Ortsschild bleibt draußen und könnte alle möglichen Namen tragen, für die Eingeweihten dieses Nachmittags freilich ist klar, das ist Pöttsching.
Der „mittlere“ Abschnitt (51) ist einer persönlichen Chronik nachempfunden. Die Jahreszahlen 2001 bis 2022 werden an verschiedenen Orten wie Netze ausgeworfen, der Chronist fischt allerlei Begebenheiten und Anekdoten heraus und verankert sie an diversen Orten wie Burgaz, Raiding oder Istanbul. Es ist die gleiche Handbewegung, mit der vor dem Haustor oder in Istanbul die Erinnerung angefacht wird. Ein Kapitel heißt zurecht „Die Schule des Sehens“ und beobachtet Mitbewohner mit der Aufmerksamkeit großer Künstler, wie sie ihren Alltag bewältigen.
Mit einer spontanen Abendnotiz (110) durchstreift das lyrische Ich eine seltsame Gegend, in der Außerirdische über Nacht die Felder zertanzt haben, ein Klangtppich aus „Gesumm und Gewind“ aufkommt, und schließlich der Apfelbaum friedlich seine Äste über den aufgeregten Wachträumer legt.
Der „südliche“ Abschnitt (115) ist als Hauschronik abgefasst, worin Künstler sogenannte Werkbücher anlegen, für den persönlichen Gebrauch werden sie geheimnisvoll „Landhofmühle-Tagebücher“ genannt. „Der Mond ist ein einsamer Komponist. Der Regen spricht alle Sprachen fließend. Der Eintritt in die Buchstabenwelt ist die Rückkehr zu mir.“
Dem geographischen Kompass Nord – Mitte – Süd ist schließlich ein Anhang von Liedtexten beigefügt, diese spielen wie in der Musik üblich „iwaroi“.
In seinen poetischen Notizen greift Gerhard Altmann vorsichtig über den beschaulichen Horizont des Burgenlandes hinaus, er kümmert sich dabei um die Werke befreundeter Künstler, die in ihrem Schaffen das Burgenland längst zu Poesie transformiert haben.
Gerhard Altmann, Nord – Mitte – Süd. Mein Burgenland. Poetische Notizen, Bilder und Fotografien von Franz Fartek, Manfred Horvath, Gustav Just, Manfred Leirer, Harro Pirch
Oberwart: edition lex liszt 2023, 135 Seiten, 18,00 €, ISBN 978-3-99016-243-9
Weiterführende Links:
edition lex liszt: Gerhard Altmann, Nord – Mitte – Süd. Mein Burgenland
Homepage: Gerhard Altmann
Helmuth Schönauer, 25-10-2023