Olaf B. Rader, Kaiser Karl der Vierte - Das Beben der Welt
„Von Auserwähltheit geradezu «durchtränkt»: so möchte ich das Leben Karls in diesem Buch deuten und beschreiben. Seine Überzeugung, auserwählt zu sein, bedeutete ja nicht, dass sich der Monarch als passives Werkzeug des Herrn sah und sich in seinen Handlungen eigener Entscheidungen enthoben glaubte, sondern im Gegenteil, dass er mit seinen Fähigkeiten dem Willen Gottes Geltung verschaffen wollte, soweit es in seinen Kräften stand.“ (S. 20)
Karl IV. gilt als ebenso widersprüchliche wie eindrucksvolle Figur auf dem Thron des römisch-deutschen Kaisers im Spätmittelalter. Im ambivalenten Urteil der Geschichtsschreibung der Gegenwart liegen seine Mittel zur Durchsetzung seiner politischen Ziele zwischen dem wiederbeleben alter und bewährter Praktiken und neuen, in die Zukunft weisenden Methoden.
Olaf B. Rader gibt gleich zu Beginn seiner Darstellung an, sich für eine „Episodenbiographie“ entschieden zu haben, die gezielt jene Ereignisse im Leben des Kaisers in den Mittelpunkt stellt, die sich in ganz besonderer Weise für die Beschreibung der Person Karls anbieten. Diese zentralen „Episoden“ werden in einem breiteren Erzählrahmen eingebettet, der die zugrundeliegenden kulturgeschichtlichen Zusammenhänge und historischen Ereignisse aufzeigt und erläutert. Dabei versucht er bewusst der Gefahr aller Biographien aus dem Weg zu gehen:
Eine anfänglich kritische Distanz zu einer historischen Person schlägt beim Biographen zunächst in Verständnis und Verlauf des Arbeitens immer mehr in Bewunderung um. (S. 25)
Eingeteilt wird die Biographie in die drei großen Abschnitte „Erwählt“, der Zeitraum von Karls Geburt bis zu seiner Machtübernahme im römisch-deutschen Reich, „Erhöht“ von der Kaiserkrönung bis zu seinem nahenden Lebensende“ und den Abschnitt „Verweht“, in dem die letzten Lebensjahre bis zu seinem Tod sowie die Nachfolgezeit und Auswirkungen seiner Herrschaft thematisiert werden.
Das erste Kapitel „Erwählt“ behandelt seine Kindheit und Jugend, so Beispielsweise, dass Karl zunächst nach seinem Großvater Wenzel III., dem letzten böhmischen König aus dem Geschlecht der Přemysliden, benannt wurde, seine Zeit in Paris und seine Italienischen Lehrjahre, in der er die Macht des Geldes erkennen durfte. Ein weiterer Abschnitt beschäftigt sich mit der Zeit als Gegenkönig gegen Kaiser Ludwig dem Bayern, seine Rolle als Kriegsherr und sein endgültiger Durchbruch als allein anerkannter römisch-deutscher König. In diese Zeit fällt aber auch die Zeit der Großen Pest in Europa und Karls unrühmliches Verhalten als Schutzherr gegenüber den Juden.
Das zweite Kapitel „Erhöht“ setzt sich mit dem Höhepunkt von Karls Herrschaft auseinander, dabei kommt die Kaiserkrönung Karls ebenso zur Sprache wie seine Rolle als Gesetzgeber, die in der Ordnung des Reichs durch die Golden Bulle ihren Höhepunkt findet. Weiter Themen sind u.a. Karls Tätigkeit als Bauherr sowie seine dynastische Hausmachtpolitik.
Im dritten Teil „Verweht“ werden zunächst die letzten Jahre des Kaisers, seine Krankheiten, der Verfall der Macht, die neuerliche Kirchenspaltung und Karls Tod behandelt. Anschließend werden die Reaktionen auf seinen Tod, die Auswirkungen und Einordnungen seiner Herrschaft und seines Vermächtnisses in der Nachwelt näher beleuchtet.
Aus Tiroler Sicht dürfte der Abschnitt „Die drei mächtigsten Dynastien des Reiches streiten um Tirol“ von ganz besonderem Interesse sein, in dem die Versuche der Luxemburger, Wittelsbacher und Habsburger, sich das Tiroler Erbe zu sichern, im Mittelpunkt stehen, bei dem Karl, damals noch Markgraf von Mähren, eine nicht unwesentliche Rolle gespielt hat. Aber auch später als römischer-deutscher König sind seine Versuche, das Erbe Tirols in seinem Sinne zu regeln, an der resoluten Gräfin Margarete von Tirol, genannt „Maultasch“, gescheitert.
Die Biographie „Kaiser Karl der Vierte - Das Beben der Welt“ bietet einen spannenden Einblick in das Leben eines Herrschers, in dessen Lebensmitte Europa von einer schrecklichen Pestepidemie heimgesucht wird, welche die Bevölkerungszahl des Kontinents auf drastische Weise reduziert hat. Olaf Rader zeigt, wie in dieser religiös aufgeladenen Zeit auch das Selbstbild eines Herrschers zutiefst religiöse Züge eines göttlichen Auserwähltseins trägt.
Eine überaus detailreiche und anschaulich erzählte Biographie eines Herrschers, der das 14. Jahrhundert wie wahrscheinlich kein anderer geprägt hat, in der auch die Stimmungslage seines Zeitalters verständlich und ausdrucksstark zur Sprache kommt.
Olaf B. Rader, Kaiser Karl der Vierte - Das Beben der Welt. Eine Biographie, mit 38 Abb., 2 Karten und 1 Stammtafel
München: C.H. Beck Verlag 2023, 544 Seiten, 39,95 €, ISBN 978-3-406-80428-1
Weiterführende Links:
C.H. Beck Verlag: Olaf B. Rader, Kaiser Karl der Vierte - Das Beben der Welt
Wikipedia: Olaf B. Rader
Andreas Markt-Huter, 09-02-2024