Clemens Schittko, alles gut

clemens schittko, alles gutLiteratur spielt ähnlich wie Mathematik auf verschiedenen Ebenen, die über Ableitungen und Hyperlinks miteinander in Verbindung stehen. In der einfachsten Literaturform gibt etwas vor, ein Sachverhalt zu sein, der mit Worten in literarische Wirklichkeit versetzt werden kann.

Für einen Schriftsteller ist diese einfache Welt bereits eine Hinterwelt, denn alles, was er erlebt, ist Teil des Literaturbetriebs, solange er sich darin als Schriftsteller gebärdet.

Clemens Schittko kümmert sich mit seinem Werkstattbuch „alles gut“ um diesen Untergrund, dem er ein Thesengedicht widmet: „das Hauptproblem des Untergrunds // da ist diese Ablehnung, / die man dem sogenannten / Mainstream entgegenbringt / und für die man gleichzeitig / von diesem Mainstream / anerkannt werden möchte“ (139)

Die Welt besteht in dieser Übungsannahme aus Literatur, der Held ist ein mehr oder weniger autarker Ich-Erzähler, das Publikum ist durch das Label „Ritter-Literatur“ literarisch gebildet, denn unliterarische Personen werden dieses Buch kaum zu Gesicht bekommen.

Wie in jedem Fach gibt es auch beim Dichten eine eigene Fachsprache, ein eigenes Curriculum und einzigartige Wertetabellen, die außerhalb der Literatur wertlos sind.

„alles gut“ kann nun einerseits als Vorbereitungsbuch gelesen werden, wenn etwa jemand in die Dichterei einsteigen will und sich keine Schreibwerkstatt oder ein Literaturstudium in Leipzig leisten kann, oder aber man liest dieses Buch als Profi-Fibel, worin die wichtigsten Floskeln verarbeitet sind. Als dritte Lesergruppe werden Ironiker, System-Zweifler und Skeptiker angesprochen, die jenseits der offiziellen Glätte der Buchumschläge wissen wollen, wie es unter der Haut der Fiktions-Industrie wirklich ausschaut.

Das Einstiegskapitel handelt von Absagen. Dabei sind ziemlich echt wirkende Absagen für Stipendien, Stadtschreibereien oder Beitrittswünschen zu diversen Literaturzirkeln in einer großen Ode des Abgesangs verwurstet. Stilistisch handelt es sich um eine Sonderform der KI, an manchen Stellen wird auch angefügt, dass die Absage maschinell verfasst ist.

Literarisch gesprochen: Was Franz Kafka noch mühselig mit seiner Türhüterparabel den Suchenden aufs Auge gepresst hat, nämlich dass trotz nettem Gesicht hier kein Eintritt möglich ist, was in der Disko-Szene brutal mit dem Ausdruck Türsteher geregelt ist, wird im Literaturbetrieb durch einen Absage-Algorithmus erledigt.

In der Literatur geht es selten logisch zu, weshalb es auch kein Widerspruch ist, wenn man zuerst Kids durch guten Literaturunterricht zur Literatur hinführt, diese Fans aber mit Absagen abwimmelt, wenn sie dieser Welt aktiv durch Schreiben beitreten wollen.

Für Insider des Literaturbetriebs stellt sich hingegen die Frage nach dem Austritt aus diesem magischen Reich. Da offensichtlich zu Lebzeiten niemand mehr aus der Schreibei aussteigen kann, ist es umso wichtiger, für den Fall des Todes auf genug Verabschiedungs-Floskeln zurückgreifen zu können.

„der Festakt der vollendeten Gegenwart“ zählt auf vier Seiten die Toten auf, wie sie in der Literaturgeschichte herumliegen. Dabei werden die Floskeln nur leicht variiert wie die Reime im Gedicht, „Georg Trakl ist tot“ erweist sich als Grundmuster, das variiert wird mit den Fügungen: ist gestorben, ist nicht mehr da, ist umgekommen, ist verendet.

Interessant ist freilich, welcher Autor welche Todesfügung zugelost bekommt. Völlig logisch zeigt sich wieder einmal Herbert Achternbusch, „der verendet ist“. Und tatsächlich, ihn hat man zu Lebzeiten eingehen lassen, wie es so schön heißt. Man braucht die Literaturgeschichte nicht neu zu schreiben, um sie richtig zu lesen, das Festakt-Ritual bietet diese ironische Lesart an.

In der „alltäglichen Langweile“ (22) geschieht in der Literatur realiter das, was die Leser später lesen müssen, vorgeblich um ihre Langeweile zu bekämpfen. Ein aufgeregtes Erzähl-Ich berichtet, wo etwas von ihm erschienen, abgedruckt oder vergessen worden ist. Dieses Langgedicht eignet sich bestens für Prüfungsfragen, welche Buchhandlung zu welchem Tag welches Cover gezeigt hat, oder wer aller mit Begeisterung das frühere Buch von Clemens Schittko („weiter so“) gelesen hat.

In diese raffinierten Insidertexte aus der Welt der germanistischen Geheimwissenschaft sind als tertiäres Erlebnis sogenannte echte Gedichte eingraviert. Das literarische Ich schleicht sich für einige Verse aus dem Betrieb und spricht im Stil einer romantischen Seele über sich und sein Untertauchen in einer poetischen Welt.

Aber die Ernüchterung folgt auf dem Fuß. Gerade haben wir uns in eine poetische Landschaft im Spreewald versenken lassen, da stellt sich heraus, dass diese Illusionsfügungen allesamt zur Beschreibung eines Stipendiums gedient haben, dem eine Absage beigefügt ist als Rückfahrkarte in die Wirklichkeit.

Der Literarische Untergrund schließlich wird gezeigt, obwohl er im Normalbetrieb unsichtbar ist. In einer Google-Word-Cloud für Untergrunddichter kommen die Verborgenen plötzlich schlagartig hervor, je nach Häufigkeit graphisch abgetastet sind die Berühmten plötzlich ganz klein, währen die Nicht-Gennanten schlagartig Aufmerksamkeit bekommen.

Ein Mega-Gedicht nennt sich „der Schittko“ (112) und zeigt über mehrere Seiten, wie alle zu stammeln beginnen und diesen Namen ungläubig aussprechen, wenn man ihn in eine x-beliebige Diskussion wirft.

Je mehr die Texte maschinell verfasst werden, umso anfälliger sind sie für digitale Störungen. Ein poetischer Beipackzettel für Störungen listet alles auf, was auf dem Bildschirm als Irritation übermittelt werden könnte. „Ein Fehler ist aufgetreten.“ / „Der Pfad ist nicht verfügbar.“ / […] / „explorer hat ein Problem festgestellt und muss beendet werden.“ Das Poem ist sinnlich überschrieben mit „Der endgültige Siegeszug der digitalen Poesie“. (123)

„alles gut“ ist ein Buch, das voll auf Harmonie abfährt, wie ja auch die Poesie alles schön macht, was sie in ihre Hände bekommt. Verkehrsunfälle, Katastrophen und Todesnachrichten erfahren finalen Glanz durch schöne Fügungen. Und das Ende ist eine einzige Veredelung des Alltags. „Was Sie immer schon wissen wollten“ (144) zählt alles auf, was so an Nachrichten anfällt, während irgendwo ein Fernseher vor sich hinbrabbelt. „Ai Weiwei fühlt sich nicht mehr als Berliner.“ „Til Schweiger nennt Missbrauchs-Opfer mutig.“ „Peter Maffey stellt einen neuen Rekord auf.“

In einer Gesellschaft, in der alles glückt und gut ist, wird „alles gut“ dereinst als Lesebuch für die Grundstufe verwendet werden.

Clemens Schittko, alles gut
Klagenfurt: Ritter Verlag 2023, 168 Seiten, 19,00 €, ISBN 978-3-85415-655-0

 

Weiterführende Links:
Ritter Verlag: Clemens Schittko, alles gut
Literatur Port: Clemens Schittko

 

Helmuth Schönauer, 29-06-2023

Bibliographie

AutorIn

Clemens Schittko

Buchtitel

alles gut

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2023

Verlag

Ritter Verlag

Seitenzahl

168

Preis in EUR

19,00

ISBN

978-3-85415-655-0

Kurzbiographie AutorIn

Clemens Schittko, geb. 1978 in Berlin/DDR, lebt in Berlin.