Dominika Meindl, Selbe Stadt, anderer Planet
Wenn das gesellschaftliche Leben eine Inszenierung ist, muss dann nicht auch das Individuum sich selbst inszenieren? Macht es einen Unterschied, ob eine Fassade historisch gewachsen oder von einer KI gestaltet vor der Selfie-Kamera auftaucht? Ist ein absolutes System wie die Volksrepublik China vielleicht ähnlich organisiert wie die für den Tourismus ausgereizte Region rund um Hallstatt?
Dominika Meindl greift als Journalistin und Fiktionsmanagerin (= Autorin) auf den weltweit verbreiteten Plot zurück, wonach in China für einen Tourismus-Park das urtypische Kleinod Hallstatt nachgebaut worden ist. Andererseits findet im nahen Bad Ischl gerade eine kaiserliche Nachinszenierung des Habsburgermythos für das Projekt Kulturhauptstadt 2024 statt.
Die Parallelen zwischen China und Hallstatt liegen auf der Hand: Für beide „Installationen“ braucht es ein gigantisches Management, bestehend aus Fachleuten und kultur-touristischen Insidern, und eine ziemlich baffe Rundherum-Bevölkerung, die nicht weiß, wie ihr geschieht. Sind die Einheimischen Staffage, Nutznießer oder einfach schlichte Deppen, die nicht mitgekriegt haben, welches Geschäftsmodell rund um sie aufgezogen worden ist?
In Sichtweite von vier Kern-Einheimischen ist mit dem Roman „Selbe Stadt, anderer Planet“ kommt ein Ambiente zum Tragen, an dem die Protagonisten mitzuwirken gezwungen sind. Denn das Hauptthema „Tourismus“ bedeutet letztlich nichts anderes, als dass ein gewisser Typus von Wirtschaften wie ein Schöpfungsmythos über dem Land ausgestreut worden ist wie seinerzeit in der Bibel Berge, Seen und glänzende Gesichter.
Die Schwestern Johanna und Doris wachsen im Hallstatt-Milieu auf und bleiben nach einigen Erkundungen der Welt in seinem Mini-Kosmos hängen. Doris packt als Tischlermeisterin handfest zu, während Johanna die Arztpraxis des Vaters übernimmt, samt seinem maroden Kundenstock. Beide sind dem Tourismus ausgeliefert, weil jegliche Produktivität als Zuarbeiten für diese Monokultur angelegt ist. Möbel für das Hotel, Medikamente für die angeschlagenen Gäste! Als sich die eine beim Fräsen beinahe die Hand absägt, flickt sie die andere zusammen und überweist sie ins Krankenhaus. – Nach langer Zeit wieder ein authentischer Akt unter Einheimischen.
Diesen „Schwesternwelten“ sind zwei Protagonisten aus dem maskulinen Macher-Bereich entgegengestellt.
Ren ist chinesischer Staatsbürger, der einst in Europa unter dem Stern eines Restaurant-Clans auf die Welt gekommen und groß geworden ist. Spät entschließt er sich, nach China zurückzukehren und den Tourismus mit europäischem Flair aufzubauen.
Andrej ist aus der slowenischen Diaspora nach dem Zerfall Jugoslawiens in der Salzgegend übriggeblieben und arbeitet an Zukunftskonzepten gegen den Overtourismus.
Beide sind als sogenannte Projektmacher tituliert, die in der Hauptsache etwas auf die Beine stellen müssen, egal ob es zu was taugt oder nicht. So baut Ren eben Hallstatt in China nach und versucht die keltischen Devotionalien digital zu optimieren, während Andrej die Idee kommt, einen „Desaster-Park“ zu konzipieren. Darin könnte der Untergang durch Klimawandel und wirtschaftlicher Überreizung des Planeten thematisiert werden.
Alle vier versuchen unter diesem Überlebensauftrag nicht die Nerven zu verlieren und für sich einen kleinen individuellen Bereich aus dem großen Tumult herauszuschälen.
Mal geht es ins Gebirge, dann in die Meditation, dann gibt es Freude mit den Kindern, ehe deren Mutter an Krebs stirbt und plötzlich neue Herausforderungen anfallen.
Was immer du tust, du musst es mit dir selbst in Einklang bringen. Es gibt weder Konzepte, noch garantierte Erfolge, noch planbaren Sinn für länger als ein halbes Jahr.
Die sogenannte Nachdenk-Epidemie verschafft dem Hallstätter Rummel eine kleine Pause. Zwar stellen die Protagonisten verblüfft fest, dass die Welt auch ganz anders ticken könnte, aber dann setzt schon wieder die post-pandemische Reizüberflutung ein.
Während die Schwestern nach China fliegen, um endlich die legendäre Hallstatt-Kopie zu besichtigen, fliegt Ren zurück nach an den Hallstätter See, um auszureizen, ob man auch Stille und Innigkeit kopieren und auf einem anderen Kontinent reinstallieren könnte.
Bei einem Meditationsversuch im stillen See gerät der Kopie-Spezialist in einzigartige Seenot und droht zu ertrinken. Die Ärztin Johanna rettet ihm das Leben, damit alle ordnungsgemäß ihre Existenz im Roman abschließen können.
In einem essayistischen Nachspiel nämlich rollt Dominika Meindl die Thesen des Romans als wirklichkeitsgetreue Nachbildung auf. „Selbe Stadt, anderer Planet“ zeigt die Mechanismen, mit denen Illusionen erweckt und verraten werden. Eine nachgebaute Stadt tickt dabei ähnlich wie ein Roman, welcher der Wirklichkeit nachgebaut ist.
Die Geschichte endet mit der überzeugenden Plausibilitätsformel:
„Die Orte sind real, Handlung und Figuren fiktional.“ (206)
Während der Inszenierung von Bad Ischl als Kulturhauptstadt liest sich der Roman besonders flüssig, weil er auf die Grenzen touristischer und kultureller Events hinweist. Die Helden tun ihr bestes, indem sie sich ohne zu moralisieren freizuschwimmen versuchen und dabei die Leser als Verbündete an die Hand nehmen. Seht her, wie wir uns bemühen, als Einheimische das Wort „heimisch“ nicht zu verlieren. Aber es wird mit jedem Event härter, mit sich selbst am Leben zu bleiben.
Dominika Meindl, Selbe Stadt, anderer Planet. Roman
Wien: Picus Verlag 2024, 208 Seiten, 22,00 €, ISBN 978-3-7117-2144-0
Weiterführender Link:
Picus Verlag: Dominika Meindl, Selbe Stadt, anderer Planet
Helmuth Schönauer, 12-03-2024