Wie ein Fisch ständig Wasser im Mund hat, um zu überleben, hat der Mensch am Lande Brot im Mund, und wenn um das tägliche Brot gekämpft wird, entsteht das Blutbrot.
Miriam Unterthiner stellt mit dem Genre Theatertext beiden Publikumsschichten eine aufrüttelnde Story in Aussicht. Einmal sind es die Theater-Affinen, die vielleicht in den Genuss eines Releases kommen, zum anderen sind es Lesende, die sich die Geschichte selbst ausmalen können. Der Plot handelt von der „Rattenlinie“, als Nazis nach dem Zweiten Weltkrieg quer durch Südtirol unterwegs waren, teils geschützt von den Bodenständigen, um wie Mengele das Endziel Argentinien zu erreichen.
Der Theatertext stellt in einem pathetischen Vorwort die Grundzüge des Stückes vor. Letzte Instanz ist das Publikum, das sich die Bausteine der Geschichte selbst in das eigene Geschichtsbild einfügen muss. Die Autorin bittet bloß um einen Chor, der im Sinne des griechischen Theaters die Wahrheit ausspricht. Aus Gründen der Einsparung wird dieser Chor auf eine Person beschränkt, mehr Geld ist im gegenwärtigen Theater nicht drin.
Die Moral von der Geschichte fußt auf dem Buch „kontaminierte Landschaften“ des kürzlich verstorbenen Martin Pollack. Dabei geht es um die Überlegung, dass Landschaften nicht nur Überwuchs von geologischen Morphologien, Erzen und Unterwasserläufen sind, sondern auch so etwas wie eine kollektive Seele der darauf Wohnenden beherbergen oder verschleiern. Nicht umsonst liegt das Grauen der Geschichte oft unter den lieblichsten Landschaften verborgen.
Das Stück handelt die Story der durchziehenden Nazitruppe mit fünf Kollektiv-Stimmen ab: Das Dorf / das Brot / das Schweigen / die Landschaft / die unablässig brotessende Autorin.
Das Dorf leistet kollektiv Fluchthilfe, heißt es bei der Aufarbeitung der Geschichte. Diese wird aber von einem anderen Kollektiv zum Schweigen gebracht. Über allem wuchert fallweise die Landschaft und weiß von nichts. Erst wenn man zu graben beginnt, kommen die grauenhaften Dinge zum Vorschein, die Gebeine des KZ-Arztes Mengele zum Beispiel, die man nie mehr zum Verschwinden bringen kann, wenn sie einmal ausgegraben sind.
Das Brot wird als höchstes Gut vorgestellt, es ist Überlebensmittel und Lebenssinn in einem. Da es von fruchtbarem Boden abhängig ist, wird um diesen Boden mit allerhand Ideologien gerungen, Blut und Boden kommen sich in einer Inschrift sehr nahe.
Der Boden ist gefährdet, wenn fremde Menschen darüber stapfen und ihn zerdrücken. Die Wirtschaft braucht diesen Boden, und sei es, dass er für Touristen genutzt wird. Manchmal ist das Dorf so voller Gäste, dass man den Boden unter seinen Füßen nicht mehr sieht.
Mitten unter das Brot mischt sich das Böse, wenn es als Mutterkorn vermahlen wird und später als Gift im Körper zu wirken beginnt.
In das Kollektiv der Stimmen sind konkrete „Brot-Namen“ eingestreut. Einmal ist Max Brod, der Freund Franz Kafkas, genannt, der einen Brot-Aufruf für das Erzgebirge verfasst hat, um dort den Hunger zu lindern. Das Schmuggeln von Brot soll hier dem Guten dienen.
Aber in den Gebirgen lässt sich auch das Böse schmuggeln, wenn der Preis stimmt. Adolf Eichmann, Josef Mengele und Gerhard Bast sind als jene Protagonisten des Bösen angeführt, die über den Brenner müssen.
Der Brenner wird wieder einmal zu einer Wasserscheide der Entscheidungen. „Der Brenner wird nicht passiert, der Brenner ist zum Anhalten gedacht. Er ist ein Ort des Anhaltens, des Innehaltens, des Zusammenhaltens.“ (68)
Verzeihen ist die beste Rache! - Im letzten Akt sind alle zusammengekommen um eine Art Resümee zu ziehen.
„Die Vergangenheit schleicht sich in unsere Körper, dringt in uns ein, wird Teil von uns, vom Magen aus. Unsere Körper sind kein Reservoir der Vergangenheit, sie sind Körper, unsere Körper.“ (59)
Aus Zitaten haben Historiker erste Bilder gebacken wie Brot, das jetzt gegessen wird. Die fiktionale Bühnen-Autorin, die ständig Brot kaut, stellt eine Analogie her zwischen dem allgemeinen Geschichtskörper und dem physischen Körper des Individuums, das ständig mit Nahrung versorgt werden muss. „Brot“ wird plötzlich zu einem Begriff, der für alle Lebenslagen passt. Hartes Brot, das Brot der frühen Jahre, des Brot als Kurzerzählung bei Wolfgang Borchert.
Miriam Unterthiner „erzählt“ in der verdichteten Sprache einer theatralischen Collage, indem sie historische, touristische, folkloristische und literarische Textspuren zu jenem Blutbrot vermischt, das uns die Geschichte als mit Ideologie durchtränkte Nahrung gebacken hat. Und über allem liegt diese kontaminierte Landschaft, vor der uns Martin Pollack warnt.
Miriam Unterthiner, Blutbrot. Theatertext
Innsbruck: Edition Laurin 2025, 72 Seiten, 18,00 €, ISBN 978-3-903539-50-1
Weiterführende Links:
Edition Laurin: Miriam Unterthiner, Blutbrot
Wiener Wortstätten: Miriam Unterthiner
Helmuth Schönauer, 10-02-2025