Der Verwicklungsroman ist kein bloßes Tagebuch, sondern eine „Lebenscollage“. ‒ Mittlerweile in vierzehn Bänden ausgeführt, lässt sich daraus ein einmaliges Kaleidoskop von Leben, Lesen, Schreiben und Lieben aufspannen.
Ilse Kilic und Fritz Widhalm haben sich vor Jahren mit Jana und Naz zwei literarische Komplementär-Identitäten zurechtgelegt, dadurch können sie in der sogenannten Wirklichkeit und der fiktionalen Ergänzungswelt gleichermaßen agieren. In entscheidenden Momenten treten sie dann auch als Quartett auf, was besonders bei Ereignissen rund um die Liebe aufwühlend wird, wenn die Personen und Figuren quer durch das Geheimnis von Liebe, Romantik, Lebensplan und Realismus pflügen.
Der vierzehnte Teil beginnt mit der lapidaren Erkenntnis, dass es heutzutage sehr leicht ist, eine Datei anzulegen, dass es aber immer schwieriger wird, diese auch mit Sinn auszufüllen.
So greifen die beiden auf den naheliegendsten Sinn zurück, nämlich das eigene Leben. Dieses wird in einer Schrägverschiebung zweifach aufgezeichnet, einmal aus dem Notizbuch und der Erinnerung heraus aus dem Jahr 1999, und zum anderen aus der Schreibzeit 2023, als der Roman zu Papier gebracht wird. Das aktuelle Jahr 2025 erfährt seinen Sinn schließlich durch die Publikation des Erinnerten und Aufgeschriebenen.
Als Stränge der Erinnerung bieten sich Reisen, Krankheiten und Verlagswesen an. Im Sinne der Verwicklungstheorie hängen diese Dinge zusammen. Aber erst durch die kontinuierliche Verknüpfung ergibt sich ein aus Historie gewirktes Netz, das über die Schreibenden, die Literatur und das Literaturwesen in Österreich gelegt ist.
Aus dem Segment Reisen lässt sich ablesen, dass 1999 bei einer Griechenlandfahrt die Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Tourismus noch keine Rolle gespielt haben. Die beiden Reisenden erweitern den Begriff Tourismus damals um den medizinischen Bereich, indem sie fallweise ärztliche Unterstützung brauchen, um die schwächelnden Körper bei Laune zu halten. Wohlbefinden ist immer auch mit ärztlicher Betreuung verbunden.
Im Segment Krankheiten ist hervorzuheben, dass die aktuelle Krankheit immer im Lichte der lebenslänglichen Verwundbarkeit zu sehen ist, in der die Körper stecken. Alle Wehwehchen des erzählten Jahres 1999 lassen sich klein reden durch die Überwindung einer Krebserkrankung, die noch in der Zukunft liegt.
Nach dieser Methode lassen sich auch politische Zusammenhänge erzählen, wenn das spätere Elementarereignis noch friedlich im Vorspann eines Katastrophenfilms versteckt ist.
Der Hauptstrang der Verwicklung bildet sich entlang des „Fröhlichen Wohnzimmers“, wenn diese kulturelle Einrichtung im täglichen Ringen zwischen Lust und Existenzkampf aufgerollt wird.
Zitate aus dem Buchhandel ergeben eine nüchterne Bilanz, neunzig Prozent der aufgelegten Bücher erreichen nicht einmal die Hundertermarke beim Verkauf der Exemplare. So handelt mittlerweile die Literaturgeschichte Österreichs von einer Literatur ohne Publikum.
Andererseits ist es dem Verwicklungsroman egal, von wie vielen Menschen er gelesen wird. Manchmal bleibt ein Buch selbst dem Autor verborgen, wenn genug Zeit verstrichen ist. Naz etwa hat sein eigenes Buch vergessen und muss es erst wieder im Kopf rekonstruieren. (26)
Die Vertriebsstruktur hat auch Auswirkung auf den konkreten Band, der keine ISBN-Nummer mehr hat, weil dieser Aufwand zu groß ist.
Die Lebenscollage greift im Mittelteil auf eine Fotosammlung zu, worin die Protagonisten teils real, teils in Poesie-Pose abgebildet sind, ganz im Sinne des auktorialen Quartetts, das die Verwicklung betreibt.
Aus der puren Chronik ragen allerhand Querverweise, Zitate und Handreichungen hervor. Frech ist etwa eine Liste mit von sechsundzwanzig Gründen, die Wohlbefinden nach sich ziehen können. (106) Im Hintergrund steht das Alphabet aus 26 Buchstaben, der geheimen Ordnung aller Büchereien. Eine davon, die Stadtbücherei Wien, hat Fritz damals verlassen, als er von einer nervösen Anspannung im Gesicht heimgesucht worden ist.
Die Erzählmethode des Verwicklungsromans bringt es mit sich, dass er keinen Anfang und kein Ende gibt. Das Jahr 1999 geht jedenfalls für Helden und Menschheit unspektakulär zu Ende, da der gefürchtete Jahrtausend-Computervirus nicht auftritt. Das tut er erst später, während der Niederschrift als Corona verkleidet.
„Manchmal ist es aufregend, zu aufregend sogar.“ – Das Motto ragt weit über den Roman hinaus. Und das Versprechen gilt: In zwei Jahren gibt es wieder was, den Band fünfzehn nämlich.
Ilse Kilic / Fritz Widhalm, Manchmal ist es aufregend, zu aufregend sogar. Des Verwicklungsromans vierzehnter Teil
Wien: Das Fröhliche Wohnzimmer 2025, 112 Seiten, 12,00 €, keine ISBN
Weiterführende Links:
Ilse Kilic / Fritz Widhalm, Manchmal ist es aufregend, zu aufregend sogar
Wikipedia: Ilse Kilic
Wikipedia: Fritz Widhalm
Helmuth Schönauer, 15-05-2025