Peter Hofinger, Heute werden sie mich holen!

h.schoenauer - 23.06.2025

Peter Hofinger, Heute werden sie mich holen!Die Befürchtung, geholt zu werden, überfällt in Romanen oft jene Helden, die am Ende sind. Bei Norbert Gstrein etwa wird im „Einer“ der sprachgestörte Jakob abgeholt, als er mit dem Dorfleben nicht zurecht kommt, in Texten nach der Machtübernahme der Nazis müssen Andersdenkende oft befürchten, geholt zu werden.

Bei Peter Hofinger sitzt der Ich-Erzähler vor einem Glas, das er über eine Wespe gestülpt hat, und beobachtet deren Ausweglosigkeit. Er blickt dabei, vom Leben ernüchtert, seinen Körper hinunter und wartet, dass er geholt wird. Am Schluss wird dieser offene Erzählrahmen abgeschlossen durch eine Sequenz, worin der Erzähler in einer Einrichtung sitzt, die Seniorenheim und Klinik in einem ist. Er jedenfalls empfindet es als Segelboot, das aufgerüstet ist, um mit ihm die letzte Reise anzutreten.

Die Erzählung ist ein beinahe minutiös vorgetragener Versuch, ein Leben als Buchhändler, spirituell Suchender und mit esoterischen Ritualen Vertrauter zu einem irgendwie vernünftigen Ergebnis zusammenzufassen.

Die Erzählung spielt gleichzeitig auf der reflektierten und reflektierenden Ebene. Der Ich-Erzähler durchwatet einen Mustertag des Wartens, indem er alle paar Minuten ein neues Kapitel aufschlägt. So sind die einzelnen Kapitel nach der Stechuhr der Erinnerung geordnet und mit Schlagwörtern überschrieben.

Die Einträge gehen von „08:13 ‒ Das Loch“ über „16:18 – Der Fehler“ bis hin zu „19:45 – Die Abholung“ einen Tagesablauf durch, wie ihn Rentner im Vollbesitz ihrer Kräfte und bedrückt von der ausstehenden Abholung tatsächlich hinlegen könnten.

Die vorrückende Zeit löst Impulse aus, die das Leben eines gewissen Wolfgang aufblitzen lassen. Während man der Erinnerungsarbeit des Erzählers lauscht, ergibt sich ein fragiler Lebenslauf, der lose aus Episoden zusammengeknüpft ist. Wenn es eine Logik gibt, dann jene des Zufalls. Erst hinterher lässt sich aus den Signaturen, die das Leben hinterlassen hat, eine Art logischer Gesamt-Akt zusammenstellen.

Das Leben dieses Wolfgang ist geprägt von der Suche in den Randgebieten der Erkenntnis. Von den Büchern der Buchhandlung geht es hinaus in die Welt der Spiritualität und hinein in eine eigenartige Welt aus Flucht, Erkenntnis und Befreiung. Zusammengehalten wird diese Welt durch eine Art Seminartourismus und Geheimreligion. Viele Stationen lassen sich zwar als Protokoll beschreiben, die vermittelte Inhaltsmasse bleibt aber verborgen.

Für die Leser dieser „Probe-Biographie“, die dezidiert mit erfundenen Personen arbeitet, ergibt sich die Erkenntnis, dass die Dinge ihre Beschreibung sind.

Wolfgang verliert seine erste Frau an den Seminarbetrieb, wobei sich Krankheit und Heilungsversuch gegenseitig triggern. Es bleibt das Henne-Ei-Problem. Wird jemand am Seminar krank, weil die Person Heilung sucht, oder heilt sie sich, indem sie durch den Seminarkult aus der Welt verschwindet?

In der Erzählung zeigt sich dieses Desaster am Zusammenbruch der Beteiligten, die oft mitten im Heilungsprozess nach Hause geholt und beruhigt werden müssen. Fallweise nehmen sie mythologische Namen an und erfinden Befreiungsgeschichten, die aber selten irdischen Bodenkontakt aufweisen. Die Beziehungen der Figuren sind meist vom Impetus getragen, „den Tag zu überstehen“. (38) Was immer man auch macht, es geht ums Durchhalten.

Die Erzählung schwenkt über in das Abenteuer jenes Mustertages, an dem der Held abgeholt wird. Das erinnerte Leben tritt zurück und wird beinahe belanglos, anscheinend kann es auf beliebige Art erzählt werden und wird dennoch erst im Augenblick seiner Erzählung relevant.

Die Verletzungen, die der Held während des Lebens angesammelt hat, setzen sich sichtbar am Körper ab, die Unterarme sind geritzt und verwundet, wenn er auf sie hinunterschaut. „Heute werden sie sie mich holen“ kann mittlerweile als Erlösung gedeutet werden.

Am Ende des Tages kommt es zum Zusammenbruch, der Erzähler erlischt auf offener Bühne.

In einem Abspann erfahren wir, dass der Held kollabiert ist und in einem Seniorenheim am See zum letzten Bewusstsein kommt. Die Familie erzählt ihm, dass er auf der letzten Stufe einer Treppe zusammengesackt ist. Die Hautflecken am Unterarm sind noch da, aber im milden Licht des Seeufers nicht weiter schlimm. – Vielleicht eine gute Gelegenheit, schwimmen zu gehen.

Peter Hofinger erzählt hartnäckig genau von den weiten Bögen, die man steuern muss, wenn man ungeschult übers Wasser segeln will. Am genauesten ist vielleicht die Gebrauchsanweisung zum Betrachten eines Segelschiffs.

„Das Segelschiff // Denk Dir ein Bild: weites Meer, ein Schiff setzt seine weißen Segel und gleitet hinaus in die offene See. Du siehst, wie es kleiner und kleiner wird. Wo Wasser und Himmel sich treffen, verschwindet es. Da sagt jemand: Nun ist es gegangen. Ein anderer sagt: Es kommt.“ (79)

Peter Hofinger, Heute werden sie mich holen! Erzählung
Norderstedt: BoD Verlag 2025, 84 Seiten, 13,30 €, ISBN 978-3-7693-5526-0

Weiterführender Link:
BoD Verlag: Peter Hofinger, Heute werden sie mich holen!

 

Helmuth Schönauer, 03-05-2025

Bibliographie
Autor/Autorin:
Peter Hofinger
Buchtitel:
Heute werden sie mich holen!
Erscheinungsort:
Norderstedt
Erscheinungsjahr:
2025
Verlag:
BoD Verlag
Seitenzahl:
84
Preis in EUR:
13,30
ISBN:
978-3-7693-5526-0
Kurzbiographie Autor/Autorin:
Peter Hofinger, geb. 1955 in St. Johann in Tirol, 33 Jahre Buchhändler, lebt in Mieming.