Günter Eichberger, Fragmente einer anarchistischen Poetik

h.schoenauer - 26.09.2025

Günter Eichberger, Fragmente einer anarchistischen PoetikWahrscheinlich ist jede Auseinandersetzung mit Literatur, insbesondere beim Rezensieren, ein Anstreifen an die Anarchie. Zumindest sind oft die an der Literatur beteiligten Protagonisten ausgewiesene Anarchen. Während aber die Anarchie, vulgär formuliert, so gut wie jegliche Herrschaft über einen selbst und das Werk ablehnt, ist der Anarch, romantischer formuliert, ein durch und durch unabhängiges Wesen.

Günter Eichberger ordnet seine Lektüren, Begegnungen und Forschungen mit „Anarchen Zeitgenossen“ wie Wolfgang Bauer oder Helmut Eisendle zu einer anarchistischen Poetik, freilich mit dem relativierenden Zusatz, dass es sich dabei um Fragmente handelt.

Selbst eine sich selbst überlassene Lektüre braucht ab und zu Gliederungselemente, will man sie in ein Buch bringen, und sei es nur, dass man überlegen muss, was vorher und was nachher kommt.

Fragmente haben im Idealfall keinen Anfang und kein Ende und können so beliebig aneinandergereiht zu einer „Poetik“ zusammengefügt werden. Die Fragmente einer anarchistischen Poetik sind als Luftaufnahme gelesen 23 Ansätze, die Anarchieliteratur der letzten fünfzig Jahre in Anekdoten, Eskapaden und Rundumschlägen österreichischer Provenienz zu würdigen.

Die ausgewählten Personen und Werke müssen bei einer Auswahl in den Anarchie-Kataster der Poesie damit rechnen, dass sie Fehlbesetzungen sind, falsch interpretiert werden, oder als Unschuldsvermutung zitiert werden.

So kommt als erster Analysefall Max Stirner mit seinem Buch „Der Einzige und sein Eigentum“ dran, in der Hauptsache um zu zeigen, dass ihn die österreichischen Dichter rund um die Wiener Gruppe falsch verstanden haben, als sie sich auf die Suche nach einem persönlichen Anarchismus machen. „Von Max Stirner sind Oswald Wiener und Konrad Bayer ausgegangen, indem sie ihn missverstanden haben, was der sicherste Weg ist, jemandem nachzufolgen“. (23)

Ähnlich hämisch beschreibt Robert Menasse die Versuche, herrschaftsfreie Kultur in Österreich auch nur in Ansätzen in einen Diskurs zu bringen. „Österreichische Künstler sind fast nur noch als Personalunion von Staatsfeind und Staatskünstler zu haben.“ (11)

Einen Schwerpunkt dieser „Fragment-Sammlung“ bietet Wolfgang Bauer, der sowohl in der Biographie als auch im Werk „anarchistische Züge“ hinlegt, was Zeitgenossen zum Kompliment veranlasst, er sei wohl Genie und Trottel in einem.

Als anlässlich des Todes von Claus Peymann noch einmal der Burgtheaterkult rund um Thomas Bernhard und das Stück Heldenplatz aufgezuckt, sei wieder einmal an den überaus österreichischen Leckerbissen von Intrige erinnert, wonach sich Thomas Bernhard beim Burgtheater ausbedungen hat, dass kein Stück von Wolfgang Bauer jemals mehr an der Burg aufgeführt werden dürfe.

Günter Eichberger greift ein Zitat auf, wonach Thomas Bernhard anarchistischen Züge aufweise, sein Befund: Das Anarchstischste, was Thomas Bernhard je aufgeführt hat, war seine Mitgliedschaft beim Bauernbund.

Dass auch Konservativismus anarchistisch sein kann, zeigt in seinen schräg in die Konvention gerammten Texten Alois Brandstetters. Eine Querlage dringt sogar bis in den Titel einer Geschichte vor. „Der 1. Neger meines Lebens“. (1971)

Wenn im Anarchismus Herrschaft in Frage gestellt oder abgelehnt wird, so stellt sich die Frage nach der Wirksamkeit bei jedem Text neu. Ein Spezifikum österreichischer Öffentlichkeit besteht in den 1970ern unter anderem darin, dass literarische Texte als Gebrauchstexte für Werbung verwendet wurden und umgekehrt. Mastersatz für diese Verquickung von Geschäft, Kunst, Sinnlosigkeit und Macht ist die Wirklichkeitsformel.

„In Wirklichkeit ist die Wirklichkeit nicht wirklich wirklich, aber wirklich ist sie doch.“ (50) Nach solchen Folien wurde etwa die legendäre Humanic-Werbung entwickelt.

Neben einem Ausflug in die Anarchistische Wirksamkeit liefert vor allem eine Abschweifung zu Luis Buñuel (Mein letzter Seufzer) Unterstützung für die Erkenntnis, dass solitäre Kunstwerke von Grund auf neu beschrieben werden müssen und sich mit vorhandenem Besteck nur schwer rezensieren lassen.

Als lohnenswerte Objekte dieser Neubeschreibung lassen sich die Werke von Helmut Schranz, Claus Schöner, Willi Hengstler, Max Helfer oder Stefanie Sargnagl lesen.

Bei der Aufzählung „unbeschreiblicher“ Werke darf Herbert Achternbuschs Gespenst nicht vergessen werden, dieses Gespenst darf man genaugenommen gar nicht erwähnen, da es aus Staatsräson in Österreich verboten ist. Die Botschaft ist freilich nicht unterzukriegen: Der Anarchismus bejaht das Leben, weil ja kein Jenseits gibt.

Im Umkehrschluss lässt sich dadurch feststellen, ob ein Werk anarchistisch ist oder nicht. Wenn sich die Fügung verwenden lässt, „es verändert das Bewusstsein“, so kann es getrost als belang- und wirkungslos abgetan werden.

Die Coda des Poetik-Buches ist lapidar zwei unmöglichen Zugängen gewidmet:
a) Schweigen für Eichholzer, der Widerstandskämpfer und Architekt Herbert Eichholzer
b ) Zitate statt Witze! – Das Nunstück Ernst Jandls erklärt sich selbst (nicht).

Günter Eichberger, Fragmente einer anarchistischen Poetik
Klagenfurt: Ritter Verlag 2025, 118 Seiten, 15,00 €, ISBN 978-3-85415-688-8

 

Weiterführende Links:
Ritter Verlag: Günter Eichberger, Fragmente einer anarchistischen Poetik
Wikipedia: Günter Eichberger

 

Helmuth Schönauer, 31-07-2025

Bibliographie
Autor/Autorin:
Günter Eichberger
Buchtitel:
Fragmente einer anarchistischen Poetik
Erscheinungsort:
Klagenfurt
Erscheinungsjahr:
2025
Verlag:
Ritter Verlag
Seitenzahl:
118
Preis in EUR:
15,00
ISBN:
978-3-85415-688-8
Kurzbiographie Autor/Autorin:
Günter Eichberger, geb.1959 in Oberzeiring (Steiermark), lebt in Graz.