Themenheft für den Kompetenzbereich Lesen: Teil 2

Lesen gehört zu den zentralen Kompetenzen moderner Gesellschaften, die es vor allem in der Volksschule den jungen Schülerinnen und Schülern zu vermitteln gilt. Neueste Erkenntnisse auf dem Gebiet der Leselernprozesse und der Lesedidaktik eröffnen innovative Möglichkeiten, Kinder beim Aufbau von Lesekompetenz und Lesemotivation gezielt zu unterstützen und zu begleiten.

Das umfangreiche „Themenheft für den Kompetenzbereich Lesen – Umgang mit Texten und Medien“ setzt sich in sechs Kapiteln mit den verschiedensten Bereichen der Leseforschung, Lesedidaktik und Leseförderung auseinander und bietet nicht nur theoretisches Hintergrundwissen, sondern auch konkrete praktische Hilfen, Ideen und Beispiele wie Leseförderung im konkreten Unterricht umgesetzt werden kann.

 

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Schriftsprachliche Vorläuferfertigkeiten

Kapitel „Vertiefende Aspekte des Kompetenzbereichs Lesen – Umgang mit Texten und Medien“ thematisiert den Aspekt „Schriftsprachliche Vorläuferfertigkeiten und ihre Bedeutung für das Lesen“ (21 – 26).

Als sprachliche Vorläuferfertigkeiten werden in diesem Zusammenhang Fertigkeiten bezeichnet, die dem Lesen als Grundlage dienen und bereits lange vor dem Schuleintritt entwickelt werden. Wie sich Vorläuferfertigkeiten entwickeln können, hängt dabei Großteils vom sozialen Umfeld des Kindes ab. Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen den mündlichen und schriftlichen Erfahrungen, die Kinder im Vorschulalter machen, und ihrer Lesekompetenz am Ende der Volksschulzeit. Dazu gehört die sprachliche Frühförderung durch Eltern und Kindergärten ebenso wie der Bildungshintergrund der Eltern und deren Einstellung zum Lesen.

Phonologische Informationsverarbeitung

Als wichtigsten Faktor für den Schriftspracherwerb wird in der Forschung die „phonologische Informationsverarbeitung“ genannt. Das ist die Fähigkeit, Informationen aus gesprochener und geschriebener Sprache über die Lautstruktur wahrzunehmen, wozu auch der bewusste Umgang mit diesen Informationen, ihre Speicherung, Verarbeitung und die automatisierte Aktivierung aus dem Langzeitgedächtnis zählen. (21) Das phonologische Bewusstsein wiederum bezeichnet die „Einsicht in die lautliche Struktur der Sprache“ (22), zu denen Fähigkeiten wie Zuhören, Reimen, Untergliederung in Silben, Erkennen der Grenzen von Wörtern und Sätzen sowie die Analyse einzelner Laute von Wörtern gehören.


Bei Wickelwörtern wird ein längeres Wort auf einen Papierstreifen
geschrieben und Zeichen für Zeichen oder Silbe für Silber aufgewickelt.
Beim Auswickeln kann das Kind Vermutungen anstellen, um welches
Wort es sich handelt.

Bild aus: bifie: "Themenheft für den Kompetenzbereich Lesen", S. 60

 

Weitere Faktoren sind das phonologische Arbeitsgedächtnis, also unser Zentrum der bewussten Informationsverarbeitung, sowie die Zugriffsgeschwindigkeit auf phonologische Informationen. (23) Geht es um die phonologische Informationsverarbeitung für das Lesen. Lassen sich zwei Modelle unterschieden.

Beim indirekten Zugang, zu Beginn des Lesenlernens, erfolgt das Lesen in mehreren Schritten von Buchstabe zu Buchstabe und von Laut zu Laut.
Der direkte Zugang ist die schnellere Methode des Lesens, die jedoch bereits gefestigte Wissensinhalte in unserem Langzeitgedächtnis voraussetzen. Durch Übung erhöht sich die Zahl der Inhalte, die beim Lesen rasch erfasst werden können.

Leseflüssigkeit als Voraussetzung für die Entwicklung von Lesekompetenz

Voraussetzung für eine altersadäquate Lesefertigkeit und ein entsprechendes Leseverständnis ist eine ausgebildete Leseflüssigkeit. (26) Als Leseförderung werden alle Maßnahmen bezeichnet, die Schüler im Umgang mit Texten und Medien unterstützen, bzw. sie auf den Umgang damit vorbereiten.

Das „Systematische Lesetraining“ wird in drei Übungsfelder gegliedert. Zu Beginn das Trainieren der Lesefertigkeit als elementare Lesekompetenz des Lesenkönnens. In weiterer Folge werden die Leseflüssigkeit durch Leseroutine und Automatisierung trainiert und zuletzt der Einsatz von Lesestrategien als Hilfe zum Textverstehen und Konstruieren von Sinn geübt. (26)

Lautleseverfahren

„Lautleseverfahren“ sollten nicht mit dem früher weit verbreiteten aber auch heute noch eingesetzten „Reihum-Lesen“ verwechselt werden, bei dem einzelne SchülerInnen laut vorlesen, während der Rest still mitliest. „Reihum-Lesen“ gilt als wenig effektiv und lernfördernd, diskriminiert schwache LeserInnen und wird von guten LeserInnen als langweilig empfunden. Zeitgemäße Lautleseverfahren hingegen lassen sich meist auf die zwei Grundformen „wiederholtes Lautlesen“ (29) und „begleitendes Lautlesen“ (30) zurückführen und fördern sowohl die Leseflüssigkeit als auch das Verstehen von Texten. Sie eignen sich vor allem um bei leseschwache Schülerinnen und Schüler, bei denen das Dekodieren große kognitive Ressourcen benötigt, die Leseflüssigkeit zu verbessern. Erst mit der entsprechenden Geschwindigkeit wird es möglich, den Sinn des Gelesenen zu verstehen. (28)

Vor allem leseschwachen Schülerinnen und Schülern, die für das Dekodieren große kognitive Ressourcen benötigen, helfen Lautleseverfahren ihre Leseflüssigkeit zu verbessern. Denn erst die entsprechende Lesegeschwindigkeit macht es möglich, den Sinn des Gelesenen zu verstehen. (28)


Vorlesetheater als Schattenspiel oder Puppenspiel ist ein unterhaltsames
Beispiel für die spielerische Umsetzung eines Lautleseverfahrens, an dem
viele Kinder beteiligt werden können.

Foto: Tibs-Bilderdatenbank, Andreas Markt-Huter

 

Lesestrategien als „Basisqualifikation in der Leseerziehung“ (32)

Das allgemein Ziel des Leseunterrichts besteht darin, dass Kinder am Ende der Volksschule über Lesefertigkeiten verfügen, mit denen sie den Inhalt von Texten persönlich und selbständig erfassen und verstehen können.

Textverständnis zu entwickeln bedeutet, Texte selbständig lesen, verstehen und anwenden, sowie den Inhalt mit dem eigenen Alltagswissen vergleichen und verbinden zu können. Dabei sollen sowohl Textaufbau als auch Handlungsablauf erfasst und sowohl wesentliche Aussagen und Informationen erkannt als auch Zusammenhänge erfasst sowie Schlussfolgerungen gezogen, reflektiert und begründet werden. Dazu gehört auch, den tieferen Sinn von Texten zu verstehen und zwischen den Zeilen lesen zu können. Dabei spielt der gezielte Einsatz von Lesestrategien eine wichtige Rolle.

Lesestrategien sind Werkzeuge, die den SchülerInnen helfen, ein bestimmtes Leseziel zu erreichen. Sie bilden quasi einen mit unterschiedlichen „Leseinstrumenten“ bestückten „mentalen Werkzeugkasten“ (33)

Rosebrock und Nix beschreiben die große Bedeutung von Lesestrategien auf drei Ebenen:

Auf der Ebene der Lektüre hilft der flexible Einsatz von Lesetechniken bei der Auseinandersetzung mit dem Text sowohl vor, während als auch nach der Lektüre.
Auf der reflexiven Ebene unterstützt die Kontrolle des eigenen Leseprozesses mit Hilfe metakognitiver Strategien dabei, Unstimmigkeiten zu erkennen und durch den Einsatz gezielter Techniken zu beheben.
Auf der Ebene der Selbstregulation wird die Abstimmung der Strategieauswahl auf ein gewünschtes Leseziel und die jeweilige Situation erlernt, wobei die affektive und emotionale Anteilnahme am Gelesenen von ganz besonderer Bedeutung sind. Wichtig ist es, durch realistische Zielsetzungen das gewünschte Leseziel zu erreichen.

Im Vorfeld des Lesens werden dazu Erwartungshaltungen zum Text aufgebaut, um das Vorwissen der SchülerInnen anzuregen. Anschließend kommen, je nach Leseziel, ordnende, elaborierende oder wiederholende Lesestrategien zum Einsatz.

Hier nennt das Themenheft zahlreiche Strategien, die noch vor dem Lesen des Textes ansetzen, wie z.B. „Nutzen von Überschriften und Bildern als Informationsquelle“ (35). Zu den Strategien während des Lesens gehört z.B. das „Markieren von Textstellen und Schlüsselwörtern“ (35) und als Strategie nach dem Lesen lässt sich beispielsweise „Mündliches oder schriftliches Zusammenfassen des Textes oder eines Textabschnitts“ (35) nennen. Zusätzliche Lesestrategien lassen sich aber auch auf Wort-, Satz- und Textebene anwenden.


Das Markieren von Textstellen ist eine hilfreiche Strategie, um den Inhalt
eines Textes schneller und leichter zu erfassen.

Foto: Tibs-Bilderdatenbank, Robert Mader

 

In einem eigenen Abschnitt wird vorgestellt, wie man Lesestrategien lernt und lehrt (36), wobei sich für Kinder Checklisten, die Schritt für Schritt durch den Text führen, als besonders hilfreich erwiesen haben. (37)

Die folgenden Abschnitte behandeln die Themen „zeitgemäße Kinderliteraturvermittlung“ (39) und „Lesen im digitalen Zeitalter“ (45), in denen aufgezeigt wird, dass sich die Leseförderung bewusst in den „digitalen Raum“ bewegen soll, wo sich Kinder längst schon aufhalten. Vor allem Buben sprechen auf Leseförderung mit digitalen Medien - im Vergleich mit klassischen Printmedien – besonders an. Dabei darf nicht vergessen werden, die digitale Welt bewusst, gezielt und dauerhaft für den Erwerb von Lesekompetenz einzusetzen, weil auch hier der „Nimbus des Neuen“ rasch vergeht.

Das Kapitel „Lesen – Umgang mit Texten und Medien“ im Unterricht fördern (51) stellt verschiedene Leseverfahren und -strategien sowie ihre konkrete Umsetzung im Unterricht vor. Zu ihnen gehören Strategien wie Lautlese-Verfahren (z.B. Lautlese-Tandem, Chorlesen, Vorlesetheater und Hörspiele), Übungen und Aufgaben zum systematischen Aufbau verlässlicher Lesekompetenz, Möglichkeiten der Leseanimation, Verlockungen zum Viellesen, das Eröffnen von Lesewelten und Bücherwelten sowie der Einsatz von bedeutsamen und sinnvollen Leseübungen am Computer.

Im Kapitel „Kompetenzerwerbsschema für den Bereich Lesen – Umgang mit Texten und Medien auf unterschiedlichen Anspruchsniveaus“ (111 - 129) finden sich praktische Beispiele, um Kompetenzen, wie sie in den Bildungsstandards als Ziele formuliert sind, im praktischen Unterricht zu erreichen. Das Schema „Kompetenzen – Lernergebnisse – praktische Umsetzung“ soll die prozessorientierte Arbeit über die gesamte Grundschulzeit unterstützen und als Grundlage für Planungen und individuelle Lernzielkataloge zu den verschiedensten Themenbereichen dienen:

  • Die Lesemotivation bzw. das Leseinteresse festigen und vertiefen
  • Über eine altersadäquate Lesefertigkeit und ein entsprechendes Leseverständnis verfügen
  • Den Inhalt von Texten mit Hilfe von Arbeitstechniken und Lesestrategien erschließen
  • Das Textverständnis klären und über den Sinn von Texten sprechen
  • Verschiedene Texte gestalten oder handelnd umsetzen
  • Formale und sprachliche Gegebenheiten in Texten erkennen
  • Literarische Angebote und Medien aktiv nutzen

Das für den praktischen Unterricht ausgerichtete Kapitel 5 „Ideenpool Kompetenzbereich Lesen – Umgang mit Texten und Medien (130 – 148) bietet eine Vielzahl an Methoden und Ideen von A „ABC-Methode“ bis Z wie „Zeitung in der Schule“ wie zur Förderung der Lesekompetenz im Unterricht eingesetzt werden können.


Die formalen und sprachlichen Gegebenheiten in Texten lassen sich am
Beispiel von Zeitungstexten praktisch und unterhaltsam untersuchen.

Foto: Tibs-Bilderdatenbank, Max Tscheloth

 

Kapitel 6 „Die Bildungsstandards im Kompetenzbereich Lesen – Umgang mit Texten und Medien als Grundlage für die Informelle Kompetenzmessung und die Standardüberprüfung“ (149 - ) setzt sich mit der Funktion und Bedeutung von Bildungsstandards auseinander, mit denen der „Schwerpunkt von der lehrplanorientierten Vermittlung von Bildungsinhalten hin zum kompetenzorientierten Unterricht“ (149) verlagert worden ist. Als Ziele der Bildungsstandards werden die „die Orientierungsfunktion, die Förderfunktion und die Überprüfungsfunktion“ (149) genannt, wobei unterschiedliche Formen der Kompetenzüberprüfung aufgezeigt und anhand von Beispielen vorgestellt werden.

 

Informelle Kompetenzmessung (IKM) - Allgemeine Materialien

Informelle Kompetenzmessung in Lesen

Fördermaterialien der IKM

Fördermaterial: Verfassen von Texten

Fördermaterial: Sprachbetrachtung

 

 

Weiterführende Links:

 

 

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>> Themenheft für den Kompetenzbereich Lesen, Teil 1

 

Andreas Markt-Huter, 08-02-2017
aktualisiert: Andreas Markt-Huter, 22-09-2022

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