Bernd Roeck, Der Morgen der Welt

„Ohne das Gespräch mit der Antike, das die Kultur der Renaissance – Thema unserer Darstellung – zum Zentrum hat, wären diese Umbrüche undenkbar gewesen. Ohne die Möglichkeit, miteinander und gegeneinander zu reden, kritisch zu diskutieren, öffentlich zu räsonieren, wäre weder die Demokratie entstanden, noch jene Fülle technischer Neuerung und wissenschaftlicher Erkenntnisse hervorgebracht worden, die unsere Zeit prägen, im guten wie im schlechten.“ (17)

Im Mittelpunkt der Möglichkeiten und der Bedeutung der Renaissance wird die Kunst der Konversation und damit das „Prinzip Streit“ gestellt, womit die Offenheit der Diskussion für Irrtümer, gegensätzliche Meinungen und Infragestellung der eigenen Standpunkte gemeint ist. Ihre Wurzeln hat diese Kultur der Denkform in der Antike, die über zahlreiche Umwege und Vermittlungen ihren Weg wieder zurück nach Europa gefunden hat, von wo aus sie ihren rasanten Siegeszug über die Welt aufnehmen wird.

Bernd Roeck geht in seinem umfangreichen Werk u.a. der Frage nach, welche Bedeutung der Renaissance in der Vorgeschichte der Moderne zukommt und warum eine vergleichbare Entwicklung, wie die wissenschaftliche und industrielle Revolution in den anderen Gebieten der Erde ausgeblieben sind.

Für die Auseinandersetzung mit diesen Fragen, blickt der Autor zunächst in die Vergangenheit und sucht nach den Grundlagen der Renaissance in der Antike und nach der Vermittlung und Weiterentwicklung des Wissens und Denkens über verschiedene Wege im Mittelalter. Dabei wird dem Dialog mit den Muslimen und dem kulturellen Transfer aus den östlichen Kulturkreisen Persiens, Indiens und sogar Chinas die gebührende Bedeutung zugewiesen.

Im ersten Kapitel „Grundlagen: Von den Anfängen bis zur Jahrtausendwende“ wird zunächst der kulturellen Entwicklung in Griechenland und Rom in der Antike nachgegangen, die wie im späteren Mittelalter auf hochentwickelte kulturelle Einflüsse aus dem Osten aufbauen konnten. Dabei ist es den Griechen und Römern gelungen, ihr Denken zu befreien und aller Schranken zu entledigen. Neben einem umfangreichen antiken Literaturschaffen bildete auch die lateinische Sprache eine wesentliche Voraussetzung für die kulturelle Vermittlung antiken Denkens über das Mittelalter hinaus, nachdem mit dem Aufstieg des Christentums, das freie Denken an sein vorläufiges Ende gelangt war.

Trotz allem legt die Spätantike mit zahlreichen Abschriften und Kommentaren zu den griechischen und römischen Autoren ein wichtiges Werkzeug zur Hand, um die Welt der Antike in späterer Zeit wieder zu entdecken. Eine nicht weniger bedeutende Rolle kam der Vermittlung antiker Kultur durch die islamischen Reiche zu.

Im zweiten Kapitel „Entfaltung der Möglichkeiten: 1000 – 1400“ werden zunächst die hochentwickelten Kulturen des Ostens Indien, Japan und China vorgestellt, die über die islamische Welt bis nach Europa ausstrahlen konnten. Als weiteren Entwicklungsschritt erleben wir die Veränderungen in Europa nach der Jahrtausendwende, mit der beginnenden Urbanisierung und Arbeitsteilung, Auseinandersetzung zwischen religiöser und weltlicher Macht, Veränderungen in der Gesellschaftsstruktur aber auch dem Aufkommen der Universitäten die zu einer „Renaissance des 12. Jahrhunderts“ (286) führte. Diese Zeit brachte eine wahre Flut an Übersetzungen und Auseinandersetzungen mit antiken Werken, vor allem des Aristoteles, hervor.

Der Ferne Osten tritt wieder als Denkhorizont in die Betrachtungswelt der Europäer und mit ihm zahlreiche kulturelle und wissenschaftliche Errungenschaften einer fremden Welt. In dieser Zeit beginnt sich der Möglichkeitsraum für die “große Renaissance“ vor allem in Italien auszubilden, der in „vier weltumstürzende neuzeitliche Revolutionen münden“ (343) wird: die Revolution der Medien, sowie die wissenschaftliche, industrielle und politische Revolution.

Nach den großen Vorläufern der Renaissance in den verschiedensten Bereichen der Kultur in Italien, wie dem „Auftritt der Notare“, die ersten Humanisten wie Dante und Petrarca, dem Aufstieg von Florenz und der Entwicklung von Malerei und Architektur. Während in Europa der Aufstieg der Wissenschaften in den Startlöchern scharrte, ging sie im islamischen Kulturraum, mit der zunehmenden Rolle, die der Religion zugewiesen wird, verloren. Große Bedeutung für Europa der Eroberung von Byzanz und die Flucht byzantinischer Gelehrter vor allem nach Italien zu, wodurch sich die Kenntnis der griechischen Sprache und der antiken griechischen Literatur verstärkt verbreitet hat.

Im dritten Kapitel „Verwirklichung der Möglichkeiten: 1400 – 1600“ steht die eigentliche Epoche der Renaissance im Mittelpunkt, an deren Beginn die Entwicklungen in Florenz stehen, der großen Metropole Mittelitaliens, die zahlreiche Künstler und Humanisten hervorgebracht hat und wie keine andere in Verbindung mit der Renaissance steht. Neben der Darstellung der politischen Entwicklungen und religiösen Machtkämpfen in Europa kommen auch humanistische Gelehrte wie Nikolaus Cusanus und Leon Battista Alberti mit ihrer Auseinandersetzung mit antiken Denken sowie Oswald von Wolkenstein zur Sprache.

Hier begegnen uns auch die großen Namen aus dem Bereich der Malerei, Bildhauerei und Architektur wie Leonardo da Vinci, Michelangelo und Raffael oder von Denkern wie Machiavelli südlich oder Erasmus von Rotterdam nördlich der Alpen. Die Renaissance zeigt ihre Auswirkungen ebenso auf religiösem Gebiet in Form der Reformation wie im Bereich der Wissenschaft wie z.B. in der Astronomie und Medizin.

Im abschließenden Kapitel „Ausblicke: Der »Westen« und der Rest“ geht der Frage nach, wie es möglich war, dass sich die wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen in Europa, im Vergleich zum Rest der Welt, dermaßen beschleunigen konnten und wie die Entwicklungen in den anderen Teilen der Welt, wie z.B. in Russland, im Osmanischen Reich, in Zentral- und Südostasien und Japan während der Zeit der Renaissance verlaufen sind. Am Ende wird auf Bedeutung der Renaissance für die einzigartige Entwicklung von Europas Weltstellung in der nachfolgenden Zeit verwiesen und deren wesentlichste Ursachen dargestellt.

Bernd Roeck gelingt es in seinem umfangreichen und umfassenden Monumentalwerk das Zeitalter der Renaissance aus verschiedensten zeitlichen und geographischen Aspekten umfassend zu beleuchten. Dabei werden der Augenmerke nicht nur auf die Epoche selbst gelegt, sondern auch auf deren Bezugspunkte in der Antike sowie der kulturellen Vermittlung während des Mittelalters. Die Darstellung gibt allen Aspekte der Renaissance den gebührenden Raum und fügt die Bereiche Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Literatur, Philosophie und Kunst in einen gemeinsamen Verständnishorizont ohne die regionalen und zeitlichen Entwicklungen zu vernachlässigen.

„Der Morgen der Welt – Geschichte der Renaissance“ fasst eine überbordende Fülle an Quellen und Literatur zu einem überschaubaren Entwicklungshorizont zusammen und eröffnet eine spannende, kritische und überaus lebendige Sicht auf eine der großen und folgenreichen Zeitenwenden in der Geschichte der Menschheit.

Bernd Roeck, Der Morgen der Welt. Geschichte der Renaissance, mit 115 Abb.
München: C.H. Beck Verlag 2017, 1332 Seiten, 45,30 €, ISBN 978-3-406-69876-7

 

Weiterführende Links:
C.H. Beck Verlag: Bernd Roeck, Der Morgen der Welt
Wikipedia: Bernd Roeck

 

Andreas Markt-Huter, 16-01-2018

Bibliographie

AutorIn

Bernd Roeck

Buchtitel

Der Morgen der Welt. Geschichte der Renaissance

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

C. H. Beck Verlag

Seitenzahl

1332

Preis in EUR

45,30

ISBN

978-3-406-69876-7

Kurzbiographie AutorIn

Bernd Roeck ist seit 1999 ordentlicher Professor für Allgemeine und Schweizer Geschichte der Neuzeit an der Universität Zürich und gilt als einer der fundiertesten Kenner der europäischen Renaissance.