Erika Kronabitter, Nora. X

Die Erziehung hängt an uns herunter wie das Fell an einem Bären. Darf man noch zu Lebzeiten an diesem Fell herumzupfen?

Erika Kronabitter beschreitet mit einsichtigen Bildern eine Führung durch die Seele einer gequälten Kindheit. Zu diesem Zweck setzt sie den Roman auf ein Doppelgleis, einmal wird in poetischen Standbildern das Verhalten von Menschen an gewissen unauffälligen Knackpunkten abgeknipst, zum anderen leisten sich zwei Figuren im Sinne Musils eine Analyse mit friedfertigem Ausgang.

Die beiden Protagonisten sind literarisch höchst bewährte Erzählfiguren, sie sind Geschwister, Nora ist eine Frau mit starkem Zug zu einer individuellen Biographie, X ist der kürzest-denkbare männliche Name, vielleicht eine Abkürzung aus dem X-Chromosom.

Die Karrieren der beiden sind scheinbar völlig konträr verlaufen, Nora hat sich der Kunst verschrieben und gestaltet in Granada eine Gedenkausstellung für den politischen Poeten Garcia Lorca. X hat eine vielversprechende Karriere als Banker aufgegeben und ist Friedensberater für NGOs geworden. Beide sind sich einig, dass es kein Leben ohne Programm gibt, denn bereits der Überlebenswille ist ein Programm.

X leidet seit frühester Kindheit an den Gewaltausbrüchen seines Vaters, er fühlt sich als überflüssiges Kind und erklärt sich so die Schläge.

„Nie wusste das Kind, was es falsch gemacht hatte.“ Die Geschwister „haben mit Vater die Arschkarte gezogen. (58)

In analytischen Gesprächen, die nie verkrampft oder verbittert sind, erarbeiten sich Nora und X Lebensentwürfe, die tatsächlich jeweils in „leichte Fröhlichkeit“ münden. Samenfäden besitzen keine Emotionen, ein Kind passiert immer nur den Frauen, jene, die schwarz weiß drucken lassen schwimmen im Graubereich sind so einige Fügungen, mit denen Lebensweisheiten im Stile des Volksmundes zusammengefasst sind.

Wenn ich groß bin, bringe ich ihn um, hat das Kind X immer wieder vor sich her gesagt, bis es aus der Kindheit draußen war. Und Nora hat über Garcia Lorca gelernt, weh dem, der die Macht stört. Somit genügt es die Kunst und den Text zu denken, die Ausführung der Werke ist vielleicht gar nicht mehr notwendig.

Die Lebens-Essays sind immer wieder verspreizt in die Familiengeschichte. Mutters Krankheit und Tod wird als Protokoll von Störfällen erzählt, Vater sitzt derweil im Altersheim und kriegt nichts mit, er hat seine Frau immer geliebt und Gewalt ist offensichtlich ein Teil seines Lebensstils gewesen. „Sie werden Quälgeister, wenn sie alt sind“, fasst die Pflegerin zusammen.

Das Geschwisterpaar befreit sich letztlich durch eine Familienaufstellung, Nora lässt sich gar in die kitsch-helle Hochzeitswelt fallen, aber nach so viel Aufarbeitung hat sie sich das verdient.

Erika Kronabitter erzählt mit den Mitteln eines Augenzwinkernden Essays, nichts ist belehrend, nichts aufdringlich, auf den guten Sound sich selbst gegenüber kommt es an. Wenn man weiß, wo das Hubkissen untergelegt werden muss, lässt sich jede Seelenlast aushebeln.

Erika Kronabitter, Nora. X. Roman.
Innsbruck: Limbus 2013. 181 Seiten. EUR 18,90. ISBN 978-3-902534-91-0.

 

Weiterführende Links:
Limbus-Verlag: Erika Kronabitter, Nora. X
Wikipedia: Erika Kronabitter

 

Helmuth Schönauer, 29-09-2013

Bibliographie

AutorIn

Erika Kronabitter

Buchtitel

Nora. X

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Limbus Verlag

Seitenzahl

181

Preis in EUR

18,90

ISBN

978-3-902534-91-0

Kurzbiographie AutorIn

Erika Kronabitter, geb. 1959 in Hartberg, lebt in Feldkirch.