Hans Haid, 74 Ötztaler Dialektgedichte
Damit ein Jubiläum nicht überschwappt, muss man ihm rechtzeitig das Wasser abgraben.
Ein Jahr vor dem fünfundsiebzigsten Geburtstag hat Hans Haid, der Meister für rare Volkskultur und deren Rituale, seine Lyrikmappe durchforstet und 74 Beispiele aus den Jahren 1963 bis 2012 ausgehoben. Der Titel der Sammlung sagt es knapp, wie eben die Gedichte von Hans Haid sind: 74 Ötztaler Dialektgedichte.
Formal haben diese Gedichte immer auch mit den Hau-Spuren zu tun, mit denen sie aus dem Sprach-Schiefer geschlagen sind. Jeder Begriff steht in einer neuen Zeile, eine Litanei von rätselhaften Wörtern ergibt das lyrische Konzept. Die Gedichte tropfen dabei wie ein Lexikon aus dem Sprachschatz des Weltkulturerbes „Ötztaler Dialekt“. Daneben wirken die Übertragungen in eine umgangssprachliche Info-Fußnote wie germanistisches Pipi.
Hans Haid hat die Sammlung alphabetisch nach den Gedicht-Anfängen geordnet, weil so die Themen nicht durch eine Überschrift oder eine Schauzeile verraten werden, sondern vom Leser allmählich durch genaues Lesen entdeckt werden müssen.
Hauptthemen sind sicher der Lauf des Lebens, der müde machende Alltag, das karge Leben am entrückten Bauernhof, die Schwerkraft der Sinnfindung, das religiös verbrämte Kirchenjahr, das Kreislauf statt Erlösung verspricht.
Und immer wieder kommt es zu einem Suizid. Alles, was einen Strick halten kann wird verwendet, um sich daran aufzuknüpfen.
einen dicken baum / gefunden / hinaufgeklettert / einen knopf / in den strick / das testament gemacht […] // (an dickn paamen / gfuntn 12)
Ein echter Lebenslauf endet mit dem Tod, der oft auch skurril beschrieben ist wie in einem Bergsteiger-Marterl.
Und gottseidank ist auch das Töttl-Gedicht dabei, eine Anti-Schützen-Ode, die in Tirol schon seit fast einem halben Jahrhundert den Widerständlern gegen das Einheits-System als Losungswort und Hymne dient.
„Foon vöeeoon / dahintr / a poor töttle / […] / olle genondr / dess töttle“ (30), in dieser Beschwörungsformel trotten ein paar Trottel einer Fahne nach mit steinigem Gesicht.
Hans Haids Gedichte schlagen sich auf das Vitalzentrum, weshalb sie als Überlebensgedichte in einer ziemlich hirnlos gewordenen Welt gehandelt werden. Die lyrische Geschwindigkeit dieser Texte richtet sich nach dem Beharrungsvermögen der Sprache, deshalb sind die Texte auch nach Jahrzehnten noch so erdig frisch, wie eben aus dem Steilhang geholt. - Überzeugend.
Hans Haid, 74 Ötztaler Dialektgedichte.
Innsbruck, Wien: Kyrene 2012. 128 Seiten. EUR 12,50. ISBN 978-3-902873-02-6.
Weiterführender Link:
Kyrene-Verlag: Bücher
Wikipedia: Hans Haid
Helmuth Schönauer, 14-02-2013