Jeannine Meighörner, Speranza

Historische Ereignisse erlangen schließlich eine gewisse Zeitlosigkeit, wenn sie den Stoff für Romane abgeben. Es gibt sogar die Vermutung, dass etwas erst dann bewältigt ist, wenn es darüber einen Roman gibt.

Jeannine Meighörner wendet sich nach entfernt liegenden Stoffen wie der Frau des Andreas Hofer oder der Philippine Welser einem recht zeitnahen Ereignis zu. Vor fünfzig Jahren zerstörte im oberitalienischen Longarone eine Flutwelle alles Leben, nachdem ein ganzer Berg in einen Stausee gerutscht war.

Dem jungen Ehepaar Clara und Riccardo zeigt die Katastrophe ihre Verwüstungskraft in voller Fratze, das Ehepaar versucht seinerseits aus dieser Verwüstung irgendwie in die Zukunft zu gelangen.

Der Roman Speranza nähert sich der Katastrophe und seiner Bewältigung in drei Schritten. Zuerst wird wie in einem Katastrophen-Film die Stille vor dem Knall beschrieben. Clara und Riccardo sind sogenannte Eismacher, die im fernen Deutschland den Sommer über die Wirtschaftswundergesellschaft mit Gelati versorgen. Rechtzeitig zum Winter zu Hause planen sie eine helle Zukunft, denn Clara ist schwanger. In der Unglücksnacht werden sie in Schlamm einbetoniert und überleben als ein Paar von Wenigen.

Im zweiten Teil ist die Medienwelt in Aufruhr, die Schlagzeilen stürzen wie Flutwellen abermals über Longarone herein. Es kommt zu ergreifenden Rettungsszenen und Wundern.  Eine gerettete Frau glaubt, dass der Pilot, der sie aus einem Baum rettet, Bingo heißt, weil er jeden Funkspruch mit Bingo bestätigt.

Alle sind traumatisiert, Clara und Riccardo suchen ihre Verwandten, die aber längst weggespült oder unwiederbringlich verschüttet sind. Clara hat ihr Kind verloren, Riccardo ist nicht einmal mit Alkohol über die Runden zu kriegen. Die Mutlosigkeit schlägt in Aggression um, als der Staatspräsident auf Höflichkeitsvisite kommt. Als man einen Ehrenfriedhof anlegt, meint Riccardo nur sarkastisch, „es ist uns keine Ehre, für die Stromgesellschaft verreckt zu sein!“ (170)

Im dritten Teil ist das Unglück zur Geschichte geworden. Prozesse haben kaum etwas gebracht, wer sich für den Bau des Staudammes schuldig fühlt, bringt sich vielleicht anstandshalber um, die Überlebenden werden mit mickrigen Summen abgespeist. Das neue Longarone ist eine Betonsiedlung geworden mit frischen Menschen, die aus dem Süden zugezogen sind.

Clara verführt ihren Mann mit einer roten Unterhose und es entsteht Speranza, der den beiden Halt gibt, als sie wieder nach Germersheim in Deutschland ziehen und das Kind in Longarone zurücklassen, weil es ja ein Italiener werden soll.

Die Enkelin studiert schließlich nach Jahrzehnten in Innsbruck, genau an der Mitte zwischen Germersheim und Longarone. Erst als sie alles aufschreibt, kann sich die Großmutter mit dem Leben und dem Unglück versöhnen.

Jeannine Meighörner, Speranza. Eine Liebe im Schatten des Unglücks von Longarone. Roman.
Innsbruck: Haymon 2013. (=TB 141). 236 Seiten. EUR 12,90. ISBN 978-3-85218-941-3.

 

Weiterführender Link:
Haymon-Verlag: Jeannine Meighörner, Speranza

 

Helmuth Schönauer, 21-09-2013

Bibliographie

AutorIn

Jeannine Meighörner

Buchtitel

Speranza. Eine Liebe im Schatten des Unglücks von Longarone

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Haymon Verlag

Seitenzahl

236

Preis in EUR

12,90

ISBN

978-3-85218-941-3.

Kurzbiographie AutorIn

Jeannine Meighörner, geb. 1963 in Germersheim/Rhein, lebt in Innsbruck.