Kei Kimura / Maketa Smith-Groves, Once Upon a Time. Es war einmal Fukushima

„Vor die Wahl gestellt zwischen Kummer und Nichts, nehme ich den Kummer.“ (116)

Was mit der Märchen-Formel „Es war einmal“ beginnt, ist der alptraumhafte Versuch, mit den Mitteln der Poesie und der archaischen Gedichtform das Unheimliche zu beschreiben, nämlich die Auswirkungen des implodierten Reaktors Fukushima.

Das Japanologen-Paar Peter und Renate Giacomuzzi hat jahrzehntelang in Japan gelebt, kurz vor Ausbruch der Fukushima-Katastrophe hat es alte Bekannte besucht, darunter auch die Schriftstellerin und Lektorin Kei Kimura. Was liegt also näher, als aus dem besorgten Mailverkehr aus Japan die sogenannte poetische Überlebensstrategie herauszudestillieren und als eigene Erzählform darzustellen.

Fukushima ist vielleicht eine Chiffre für das Ungeheure und Unsichtbare, das plötzlich alles verändert. Jetzt, wo der Strom rationiert ist, stellt sich heraus, dass man auch mit viel weniger leben könnte. Fliehen ist vielleicht sinnlos, denn das Unglück erwischt einen immer im eigenen Körper. So lacht ein Bekannter zynisch, als er sagt, mit seinem Krebs braucht er nicht zu fliehen, den hat er schon.

Warum geraten wir nicht in Panik? lautet die zentrale Frage. - Vielleicht, weil die Regierung so elegant lügt und alle wissen, dass das Aussprechen der Wahrheit die echte Katastrophe wäre.

Den Betroffenen bleibt oft nur der Zynismus: Lass und friedlich verstrahlen!
Kei Kimura freilich versucht mit alten Beschwörungsformeln, mit archaischen Poetiken, mit bewährter Poesie dem Unsagbaren beizukommen. „Die gefahrlose Grenze der Radioaktivität ist unterschiedlich je nach Person.“ (139)

Im zweiten Teil der Fukushima-Poetik stellt die Beatnik-Autorin Maketa Smith-Groves Analogien zwischen den „Geschlagenen“ im Sozialsystem der USA und den Betroffenen in Japan her. Beiden Gruppen ist gemeinsam, dass ihre sozialen und informativen Bedürfnisse abgedreht werden nach dem Motto: Minderheiten haben reduzierte Bedürfnisse.

In Fukushima / haben sie es / in den Beinen Verklumpungen / Anschwellen der Kapillargefäße / der Venen / vielleicht der Arterien / "Es ist die Folge der Inaktivität" / sagt die Regierung / weil viele eingeschlossen sind. (154)

Kei Kimura und Marketa Smith-Groves erzählen letztlich ein brutales Märchen, dessen aufrichtende Botschaft vielleicht sein kann: Es lohnt sich, das Unsagbare immer wieder neu zu erzählen.

Kei Kimura / Maketa Smith-Groves, Once Upon a Time. Es war einmal Fukushima.
Hrsg. von Peter und Renate Giacomuzzi. A. d. Engl. von Isabella Esser und Isabella König.
Zirl: BAES 2012. 158 Seiten. EUR 18,-. ISBN 978-3-9503233-5-1.

 

Weiterführender Link:
Edition BAES: Kei Kimura / Maketa Smith-Groves: Once Upon a Time. Es war einmal Fukushima

 

Helmuth Schönauer, 03-12-2012

Bibliographie

AutorIn

Kei Kimura / Maketa Smith-Groves

Buchtitel

Es war einmal Fukushima

Originaltitel

Once Upon a Time

Erscheinungsort

Zirl

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

Edition BAES

Herausgeber

Peter Giacomuzzi / Renate Giacomuzzi

Übersetzung

Isabella Esser / Isabella König

Seitenzahl

158

Preis in EUR

18

ISBN

978-3-9503233-5-1

Kurzbiographie AutorIn

Kei Kimura, geb. 1937 in Yokohama, lebt in Saitama.<br />Maketa Smith-Groves, geb. 1950 in Detroit, lebt in North Beach/San Francisco