Konrad Paul Liessmann, Geisterstunde

„Wie bei allen Phrasen besteht bei ihrem inflationären Gebrauch die Möglichkeit, dass sie nicht beim Wort genommen werden dürfen. Wie aber wäre es, wenn man einmal darüber nachdächte, inwiefern Bildung zum Glück der Menschen tatsächlich etwas beitragen kann?“ (7)

Was bedeutet es, wenn nicht mehr über Bildung, sondern nur mehr über deren Reform gesprochen wird, wenn nicht mehr Inhalte und Wissen sondern Kompetenzen vermittelt werden sollen, die sich allein am Maßstab der Nützlichkeit orientieren, der wiederum an den ständig wechselnden ökonomischen Bedürfnissen ausgerichtet wird?

Peter Paul Liessmanns Streitschrift über das gegenwärtige Bildungssystem und seine Reformen ist eine große Abrechnung mit unserer Konsumgesellschaft, die Bildung, Schule und Universitäten rein auf ihren gesellschaftlichen und ökonomischen Nutzen ausgerichtet wissen will. Nur was sich materiell unmittelbar verwerten lässt und was seine praktische Bedeutung nachweisen kann, hat Wert.

Demgegenüber setzt Liessmann einen Bildungsbegriff, der die Herausbildung der Urteilskraft, den Sinn für das Schöne, um seiner selbst willen und jenseits allen Nützlichkeitsdenkens und aller Zweckmäßigkeit, in den Mittelpunkt stellt. Nur eine solche Bildung kann die Voraussetzungen für eine „wechselseitige Anerkennung der Menschen in Würde“ (180) schaffen.

Die Bildungsreformen der Gegenwart, angetrieben von Pisa-Tests und Bologna-Reformen, treiben die Bildungseinrichtungen zunehmend in eine wettbewerbsorientierte Ausbildung im Dienste der Wirtschaft. Dabei geben die Berichte der OECD den Takt vor, an dem sich die Bildungspolitik orientiert und sich selbst unter Druck setzt.

In der Katastrophen-, Test- und Dauerreformrhetorik zeigt sich die Praxis der Unbildung in ihrer hysterischen Gestalt. (28)

Besonders heftige Kritik findet die Figur des sogenannten Bildungsexperten, die das aktuelle Schulsystem als grundlegend schlecht qualifizieren und in einer radikalen Bildungsrevolution, die einzige Lösung erkennen, um eine drohende Bildungskatastrophe abzuwenden.

Liessmann zeigt die zahlreichen Widersprüche auf, in denen sich die medial sehr wirksamen Kritiker verfangen, die beispielsweise die Ergebnisse der Pisa-Tests dafür nutzen, die großen Mängel der Bildungssysteme zu belegen und ihnen andererseits vorhalten, dass sie nur Fähigkeiten forcieren und in den Vordergrund rücken, die sich testen und vergleichen lassen, während Kreativität und Eigensinn, ohne Relevanz bleiben würden.

Auch wenn Liessmann seine „Geisterstunde – Die Praxis der Unbildung“ eine Streitschrift nennt, eröffnet er eine Distanz auf eine zumeist aufgeregt geführte Bildungsdiskussion, die wohltuend beruhigend wirkt. Nur wer davon ausgeht, dass in unserer Bildungslandschaft nicht alles so schlecht ist, wie allen Orts lautstark verkündet, kann mit Ruhe und ausgewogenem Blick eine seriöse Bildungsdiskussion in Gang setzen, die eine realistische und wünschenswerte Reform des Bildungswesens zum Ziel hat.

Dem Autor gelingt es in seiner überaus lesenswerten philosophische Streitschrift zum Thema Bildung eindrucksvoll aufzuzeigen, dass nicht allein der Nutzen für den Einzelnen und die wirtschaftliche Verwertbarkeit Maßstab für Bildungsinhalte und Bildungsvermittlung sein dürfen. Vor allem eine musische Bildung, die um ihrer selbst willen zur geistigen Auseinandersetzung anzuregen versteht, gilt es zu erhalten und zu fördern.

Konrad Paul Liessmann, Geisterstunde. Die Praxis der Unbildung. Eine Streitschrift
Wien: Zsolnay Verlag 2014, 192 Seiten, 18,40 €, ISBN 978-3-552-05700-5
 

 

Weiterführende Links:
Zsolnay Verlag: Konrad Paul Liessmann, Geisterstunde
Wikipedia: Konrad Paul Liessmann

 

Andreas Markt-Huter, 10-11-2014

Bibliographie

AutorIn

Konrad Paul Liessmann

Buchtitel

Geisterstunde. Die Praxis der Unbildung. Eine Streitschrift

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Zsolnay Verlag

Seitenzahl

192

Preis in EUR

18,40

ISBN

978-3-552-05700-5

Kurzbiographie AutorIn

Der österreichische Philosoph Konrad Paul Liessmann wurde in Villach geboren und ist Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist und Professor am Institut für Philosophie der Universität Wien. Er war Wissenschaftler des Jahres 2006, für sein Bemühen, seine Arbeit einer breiten Öffentlichkeit verständlich zu machen.