Werner J. Egli / Martin Kolozs, Im Springen eines Steines

In der Literatur wird manchmal die Logik der Ereignisse ausgehebelt wie die Schwerkraft, wenn man einen Stein fetzig über die Wasseroberfläche springen lässt.

Die Autoren Werner Egli und Martin Kolozs, beide sind perfekte Abnager von Erzählknochen, haben sich eine Woche lang zu einem Schreibexperiment zusammengefunden. Gelingt es, eine dynamische Schreibwoche in eine dynamische Erzählung zu transformieren?

Die Schreib-Tour besticht vor allem durch die asynchrone Zeitgestaltung. In der Erzählung ist der Schriftsteller Thomas Pinter sieben Tage lang auf einer Revival-Lesung unterwegs. Dabei hat er seine Betreuerin Eva tot mit einem Loch im Kopf im Kofferraum liegen und muss ständig mit Duftbäumchen die Realität der Verwesung verdrängen.

Die Geschichte beginnt mitten im Ereignis mit Tag drei. Gerade als Pinter die Leiche im Wald ablegen will, taucht eine Leserin auf, die sich schon auf den Abend freut. Nach der Lesung gibt es noch einen Nachschlag im Hotelzimmer, von dem gerade unerfahrene Dichter immer träumen. „Ausgevögelt lagen sie im Bett, ohne sich zu berühren.“ (15)

Statt der Betreuerin Eva tritt Pinter ab jetzt mit dem Jungen Nils auf, den er aufgegabelt hat, weil er ihn an Jugend und unverstellte Frische erinnert. Er selbst nämlich hat nach seinem Bestseller vor siebzehn Jahren nichts mehr zusammengebracht, niemand will auch noch etwas von seiner Gegenwart lesen, die Lese-Tour entwickelt sich zu einem Abgesang.

Während der Junge und der alte Dichter an einem Gewässer stehen, kommt es zu dieser Titelgebenden Szene, wo ein Stein über die Wasseroberfläche pfitscht und Schwerkraft, Lebensbogen und Zeitmessung zu einer großen Null verschmelzen lässt.

Das Ende gleicht dem Showdown eines Krimis und darf deshalb nicht verraten werden, nur so viel, als Leser zittert man bis zur letzten Seite mit dem Helden Pinter, dass es mit der Leiche gut ausgehen möge.

Gerade weil die Erzählung relativ kurz ist, wirkt jeder Satz wie der Hieb eines Steinmetzes. Thomas Pinter ist in seiner Unantastbarkeit eine literarische Würdigung des Thomas Pynchon, von dem es bloß aus den Fünfzigerjahren ein Foto mit Bürstenfrisur gibt. Das Mitleid des Lesers gilt dem Kofferraum, weil er ein Geheimnis verschließt, das Schicksal des Dichters hingegen lässt den Leser kalt, zumal der Dichter vielleicht kalt schreibt wie ein Killer.

Der dramaturgische Aufbau, die Figurenführung, die Verknappung der Handlung, das dynamische Moment eines Road-Movies, Furcht und Zittern bei Dichterlesungen und die Tragödie eines Autors im Fluss des Literaturbetriebs machen die Erzählung zu einem Meisterstück sorgfältigen Arbeitens. Denn hinter der Gaudi beim Lesen und Schreiben steckt die Botschaft, dass eine Erzählung nur gut ist, wenn beim Lesen und Schreiben Schweiß fließt. Der Schweiß des Lesers freilich ist ein leichter, frischer, brisanter!

Werner J. Egli / Martin Kolozs, Im Springen eines Steines. Eine Tour noir. (A long road tale for our loved ones.)
Innsbruck, Wien: Kyrene 2013. 88 Seiten. EUR 12,50. ISBN 978-3-902873-33-0.

 

Weiterführende Links:
Kyrene Verlag
Wikipedia: Werner J. Egli
Wikipedia: Martin Kolozs

 

Helmuth Schönauer, 10-10-2013

Bibliographie

AutorIn

Werner J. Egli / Martin Kolozs

Buchtitel

Im Springen eines Steines. Eine Tour noir. (A long road tale for our loved ones.)

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Kyrene Verlag

Seitenzahl

88

Preis in EUR

12,50

ISBN

978-3-902873-33-0

Kurzbiographie AutorIn

Werner J. Egli, geb. 1943 in Zürich, lebt in Egg/Schweiz.<br />Martin Kolozs, geb. 1978 in Graz, aufgewachsen in Innsbruck, lebt in Wien.