Elisabeth Herrmann, Schattengrund

Nico schloss die Augen. Erinnere dich. Denk nach! Es ist wichtig! Was hat sie gemalt? Warum wollte Kiana, dass ich wiederkomme? Sie hat mich geliebt. Sie hat all die Jahre keinen Kontakt aufgenommen, um mich zu schützen. Aber sie wollte, dass ich wiederkomme. Sie wollte … Nico riss die Augen auf. Sie wollte, dass ich noch einmal in den alten Stollen gehe. (172)

Kurz vor ihrem 18. Geburtstag erfährt Nico, dass sie von ihrer Großtante Kiana in ihrem Testament bedacht worden war. Zunächst erhält sie einen Besen, eine halbe Postkarte und einen Stein mit der Bemerkung: „Diese drei Dinge vermache ich meiner Großnichte Nicola Wagner zum weißen Gebrauch.“ (12)

Als Nico die drei Dinge annimmt, eröffnet ihr der Testamentsvollstrecker, den zweiten Teil des Testaments, in dem ihr Kianas Haus vermacht wird, wenn es ihr gelingt drei Rätsel zu lösen, die mit „Schattengrund“, wie das Haus genannt wurde, und ihrer eigenen Vergangenheit aufs engste verbunden sind. Schockiert weisen Nicos Eltern, da sie noch nicht volljährig ist, ihr Erbe zurück. Aber Nico macht sich mit Unterstützung ihrer Freundin Valerie heimlich auf den Weg nach Siebenleben, eine kleine am Brocken, dem höchsten Berg im Norden Deutschlands, gelegene Ortschaft.

Auf ihrer Busfahrt gerät sie mitten in einen Schneesturm, wobei sie den letzten Teil nach Siebenleben zu Fuß unternehmen muss, weil die Straßen für den Bus gesperrt sind. Als Nico in dem Unwetter die Orientierung verliert, kann sie der junge Leon Urban mit seinem Auto gerade rechtzeitig mit nach Siebenleben und nach Schattengrund bringen. Als sich Nico am nächsten Morgen in der Bäckerei mit Brot versorgen will, prallt ihr die eisige Ablehnung der Verkäuferin und der Bevölkerung Siebenlebens entgegen, nachdem sie als Kianas Nichte erkannt worden war.

Leon kauft für sie Brot und eröffnet ihr, dass Siebenleben eingeschneit und von der Außenwelt abgesperrt sei. Immer mehr wird Nico klar, dass ihr die Menschen feindlich gegenüberstehen. Sie entdeckt das Märchenbuch ihre Großtante und erinnert sich an die Geschichten die ihr Kiana in ihrer Kindheit erzählt hatte und an ein kleines Mädchen namens Fili, die vor mehr als zwölf Jahren ihre beste Freundin gewesen war. Fili war Leons Cousine und im Alter von sechs Jahren bei Schneesturm auf den Brocken gelaufen und erfroren. Nico fällt aber auch ein, dass sie sich damals mit Fili gemeinsam auf den Weg zum Berg gemacht hatte und dabei fast umgekommen wäre.

Wie ein dunkler Schatten liegt das Unglück seither auf Siebenleben und droht mit der Rückkehr Nicos nach Schattengrund aufzubrechen. Die Bewohner Siebenlebens beobachten sie mit offenem Hass und vor allem der Pfarrer, der Kohlehändler Maik, Filis Eltern Zacharias und Trixi sowie Filis Großmutter Zita scheinen mehr zu wissen, was damals passiert war, als sie zugeben wollen. Während Nico mit Leons Hilfe versucht der Wahrheit über den Tod ihrer Freundin auf die Spur zu kommen, muss sie feststellen, dass es jemanden gibt, der dies mit aller Kraft zu verhindern sucht.

Elisabeth Hermann versteht es von Anfang an die Leserinnen und Leser in ihren Bann zu ziehen. Wie auf einer Insel, ohne Möglichkeit zu entkommen, muss sich die Heldin gegen eine feindliche Umgebung durchsetzen. Und auch die Liebesgeschichte zwischen Nico und Leon wird hin und hergerissen zwischen Vertrauen und Misstrauen.

Bis zum Schluss bleibt offen, wer für die Verbrechen der Vergangenheit verantwortlich ist, auch wenn alle durch ihr Schweigen und ihr Verhalten Schuld auf sich geladen haben. Ein überaus packender Jugendthriller, der einen durch seine dunkle Atmosphäre und seine geschickte Erzähltechnik bis zum Schluss zu fesseln vermag.

Elisabeth Herrmann, Schattengrund. Thriller, ab 14 Jahren
München: Cbt-Verlag 2012, 416 Seiten, 15,40 €, ISBN 978-3-570-16126-5

Weiterführende Links:
Cbt-Verlag: Elisabeth Herrmann, Schattengrund
Wikipedia: Elisabeth Herrmann

Andreas Markt-Huter, 08-01-2013