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Einem Massiv lässt sich in der Geologie nur durch einen Tunnel begegnen, ähnlich geht es in der Erzählkunst zu: Wenn etwas zu hart ist für die oberflächliche Darstellung, muss man semantisch unten durch.

William H. Gass lässt seinen Protagonisten nichts Geringeres versuchen, als ihn in ein Loch durch das Nazi-Deutschland zu schicken, freilich in einer ziemlich granitenen Form. Von der Handlung her geht es noch halbwegs überschaubar zu, ein gewisser Kohler hat eine Germanisten-Arbeit geschrieben „Schuld und Unschuld in Hitlerdeutschland“.

Im Idealfall ist Lyrik eine Projektion ohne Leinwand und Beamer, das Bild zerfällt, während es entsteht in unendliche Lichtteile.

Gerard Malanga, in der Hauptsache Fotograf und Filmemacher, stellt die Projektion in den Titel seiner Gedichte-Auswahl. Mit den Begriffen unvollendet und Arkaden ist auch gleich das Konzept dieser Lyrik festgeschrieben. Alle Zeilen, Abbrüche, Einschübe und Leerstellen entsprechen dem Aufbau eines Bildes, das von einem unruhigen Auge abgetastet wird. Die Gedichte sind ausgebaut als Bauwerke der Erinnerung, ständig neu abgelichtet und nie fertig.

Was macht eigentlich ein Dichter, wenn er nicht gerade auf der Bestenliste herum klettert und Interviews gibt? - Er spukt Blut und trinkt Bier.

Franz Xaver Kroetz schenkt seinen alt und kaputt gewordenen Protagonisten nichts, in den fünfzehn plus zwei Geschichten taucht fast immer der erfolgreiche Star aus früheren Zeiten auf. Meist sind es nur große Sätze, die aus dieser Epoche geblieben sind, große Sätze vom Schreiben, wenn etwa der Satz schon im Kopf da ist, aber noch ein paar Bier braucht, dass er in die Tastatur fallen kann.

Was vielleicht aus einem Bericht eines Überwachungscorps stammt, ist auch die Grundvoraussetzung für Literatur: Die Zusammenkunft von Ereignissen oder Personen ist das Gerüst für jede Erzählung.

Walle Sayer, ein feiner Meister poetischer Begebenheiten, nennt seinen Überwachungsbericht „Erzählgeflecht“. Da ist man als Leser sofort erinnert an das Myzel von Pilzen, während wir an einer Stelle den Fruchtstängel begutachten, ist der Pilz in Größe eines Fußballfeldes als Geflecht unter unseren Füssen.

Die ersten Worte, die nach einem Unglück von den Überlebenden ausgestoßen werden, klingen für sich genommen immer sinnlos und wirken grotesk. Was erst sollen Überlebende sagen, die als Juden in Paris gerade den Krieg, die Nazis und die Vernichtung überlebt haben?

In einer Schneiderei für Damen-Nachkriegsmode in Paris kommt allmählich das Leben wieder in Gang. Manche haben schon Geld für eine Maßanfertigung, über gute Kanäle kommen auch schon wieder Stoffe in die Werkstatt, die Kinder sind auf Ferienlager in einem intakten Schloss und schreiben Briefe nach Hause.

Wie kann man einen sozialen Sumpf erzählen, ohne dass man als Leser darin rettungslos verlorengeht? - Nanni Balestrini hat für seine Camorra-Geschichte die Methode der Atemlosigkeit gewählt.

Rein äußerlich tut sich eine Kriminalgeschichte auf, der Camorra-Pate Sandokan wird gleich zu Beginn eingekesselt und verhaftet, aber der Ich-Erzähler wird durch diese Aktion in einen Bottich von sozio-historischen Schlingpflanzen geworfen, dass er Mühe hat, etwas Ordnung in die Wahrnehmung zu kriegen.

Pubertät in einer polnischen Provinzstadt - diese drei harten „P“ garantieren eine groteske Literatur.

In einem entlegenen Städtchen Polens hart an der russischen Grenze steckt das sogenannte Schusterkind Bartek seine Reviere ab. Headquarter dieser Erkundungen ist eine Schusterwerkstatt, in der die wichtigsten Personen ein und ausgehen, zumal es zu Hause oft düster und wild hergeht.

Die Kindheit bildet oft einen eigenen Staat im Staat, die Beschreibung einer verstaatlichten Kindheit führt also automatisch zu einer Beschreibung des Staates.

Im Falle von Elisabeth Reicharts Roman über die Voest-Kinder wird dieser Verstaatlichungseffekt noch vom Thema her unterstützt, handelt es sich doch bei den Vereinigten Edelstahlwerken um ein besonders handfestes Stück Österreich der Nachkriegszeit.

Eine ordentliche Lebenskrise hat die Kraft, ganze Jahrgänge stumm zu machen. In Raoul Schrotts Erzählung „Das schweigende Kind“ macht ein beichtender Maler eine formidable Krise durch. Äußerlich ist soeben jene Katastrophe eingetreten, die sich vielleicht innerlich schon über Jahre angestaut hat.

Der Erzähler identifiziert in einem Krankenhaus eine Frau, die die Mutter seines Kindes ist. Offensichtlich ist sie erstickt, vielleicht sogar erwürgt worden.

Manchmal sucht sich die regionale Zeitgeschichte eine Lichtgestalt, um an ihr ein Stück Gegenwart abzuhandeln.

Otto Licha greift in seiner Doku-fiktionalen Schilderung der späten sechziger und frühen siebzieger Jahre in Innsbruck auf die legendäre Figur Kripp zurück, „Kripp und klar“, wie die Parole aus der damaligen Zeit lautete.