Doris Byer, Mali

Wenn das historische Fundament fehlt, wird aus einer aktuellen Nachricht bald einmal eine Schlagzeile, die ins Leere führt. Über den afrikanischen Kontinent weiß unsereins oft beinahe nichts, weshalb uns die einzelnen Nachrichten nur als Ansammlung von Katastrophen und Unglücken erreichen.

Doris Byer stößt mit ihrem Buch Mali in dieses historische Brachland vor und legt als Anthropologin Material vor, das es an Umfang und Konsistenz durchaus mit dem Clan der Wittelsbacher oder Habsburger aufnimmt. Der Kunststaat Mali nämlich ist ein Produkt der Kolonialzeit und wie ein schlechter Witz auf die gewachsenen Strukturen diverser afrikanischer Reiche darübergelegt. So sind etwa die klassischen Reiche Wagadu, Mali und Gao mindestens so groß wie halb Europa, ihre Erforschung würde ebenso viel Stoff wie die Erforschung Europas hergeben.

Doris Byer legt ihre Mali-Erforschung als Reisebericht, Projektbeschreibung und Ergebnis historischer Forschungen an. Das Buch ist aus mindestens drei Reisen zwischen 2002 und 2006 entstanden, in einem Epilog werden die jüngsten Ereignisse, Putsche und die Verwicklungen der Weltbank beschrieben.

Methodisch gesehen ist diese historische Expedition eine Verbindung aus persönlicher Familienchronik und französisch geprägter Kolonialgeschichte. Der in Dijon geborene Abdoulaye Sima nämlich möchte Näheres über seine Familie wissen, die seinerzeit als mächtiges Adelsgeschlecht zwischen Timbuktu, Bamako und Kita geherrscht hat. Adelsspross und Anthropologin tun sich daher zusammen und erleben einen Mix aus wissenschaftlicher Expedition und persönlicher Familienkunde.

Die Simas in Mali nämlich wissen teilweise genauso wenig über ihre Vorfahren wie der in der ferne Geborene. Manche haben ein genauso schräges Bild von Europa, wie es die Europäer von Afrika haben. Und dazwischen steckt eine tabuisierte, ausgelöschte oder verbrämte Geschichtsschreibung der Kolonialmacht, die ständig Geschichtsfälschung betreiben muss, weil sich der Sklavenhandel mit den Geboten der französischen Revolution von Anfang an nicht vertragen hat. Aber die Geschäftswelt ist immer eine Fälschung, ob sie nun als Sklavenhandel oder Weltbank betrieben wird.

Eine Besonderheit stellen sicher die Fotos von Abdoulaye Sima dar. Zum einen sind es Aufnahmen von Familienmitgliedern, die wie für ein Album in der Cloud posieren. Dann wiederum tauchen verfallene Zeugnisse der Kolonialgeschichte auf, stillgelegte Eisenbahntrassen, neu genutzte Amtsgebäude, und letztlich sind es vor allem die Alltagsfotos, die etwas vom wirklichen Zustand Malis zu vermitteln versuchen. Ein in der Hitze abgebildetes zweistöckiges Haus etwa, bei dem nur die Adresse zu funktionieren scheint, Eckhaus in Segu, menschenleer. (156)

Wie echten Abenteurerbüchern ist dem Buch auch eine Karte eingeklebt, einmal als gigantischer Ausriss zwischen der Niger-Kümmung und dem Atlantik, und dann als intimere „Bundesländerkarte“ als geographische Installation zwischen Bakel und Kayes.

Das Buch „Mali“ ist für die meisten Europäer eine Spurensuche in einer völlig unbekannten Kultur!

Doris Byer, Mali. Eine Spurensuche. Mit Fotos von Abdoulaye Sima
Graz: Droschl 2014. 399 Seiten. EUR 26,-. ISBN 978-3-85420-956-0

 

Weiterführende Links:
Literaturverlag Droschl: Doris Byer, Mali. Eine Spurensuche
Wikipedia: Doris Byer

 

Helmuth Schönauer, 05-01-2015

Bibliographie

AutorIn

Doris Byer

Buchtitel

Mali. Eine Spurensuche

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Droschl Verlag

Illustration

Abdoulaye Sima

Seitenzahl

399

Preis in EUR

26,00

ISBN

978-3-85420-956-0

Kurzbiographie AutorIn

Doris Byer, geb. 1942 in Wien, ist Anthropologin.<br />Abdoulaye Sima, geb. 1973 in Dijon, ist Bühnenregisseur in Paris.