Herbert Rosendorfer, Martha. Von einem schadhaften Leben

In entlegenen Landstrichen herrschen unabhängig von den jeweiligen Regierungen in den Zentren völlig autarke Geister, die in ihrer Hilflosigkeit von den Bewohnern Dämonen genannt werden.

Herbert Rosendorfer stellt in seinem letzten, beinahe vollkommen fertig gewordenen Roman „Martha, Von einem schadhaften Leben“ eine kluge These auf. Während wir in der Geschichtsschreibung immer von politischen Regimen und Quell-erfassten Protagonisten sprechen, regieren in der Peripherie oft ganz andere Mächte. Im Südtiroler Vinschgau sind dies die steinernen Mächte, die unbeirrt von der jeweils gültigen Landessprache ihre Untertanen in der Kunst des Überlebens unterweisen.

Im entlegenen Weiler Tschagoi, wo es maximal acht Familiennamen gibt, kommt die Zeitgeschichte höchstens als Rekrutierungsbüro an. Ab und zu heißt es einrücken und gegen irgendwen kämpfen, wenn die Verwundeten schwer lädiert nach Hause kommen, versuchen sie vergeblich, ein Leben durch Reproduktion ihrer Qualen auf die nächste Generation fortzusetzen.

Erziehung besteht darin, dass die Kinder nicht daran gehindert werden zu wachsen. (56)

Martha ist Ergebnis solch archaischer Errungenschaften, irgendwie zufällig auf die Welt gekommen setzt sie sich auch bald einmal vom kleinen Vinschger-Dorf ab und versucht erst recht, das Glück mit beiden Händen in der Welt draußen zu umarmen. Frisch eingekleidet arbeitet das Mädchen in einem Pilgerhaus in Rom, pünktlich zur Geschlechtsreife kommt auch der katholische Marchese aufs Zimmer und wird gerade noch abgewehrt.

Volljährig und selbständig arbeitet Martha in Bozen, wobei eine Dichterlesung im Hotel Laurin das prägendste Erlebnis ihrer Ausbildung ist. Als Privatlehrerin, Sekretärin und „Mädchen für alles“ kommt Martha schließlich nach München, wo sie es jahrzehntelang mit einer recht seltsamen Liebschaft zu tun bekommt.

Ein verheirateter Schwerenöter verspricht ihr die Ehe und schenkt ihr ein sogenanntes Bikini-Kettchen, das um den Bauch getragen wird. Solcherart eingewickelt bleibt Martha immer paarungsbereit, ehe der Liebhaber dann unter dubiosen Umständen im Gefängnis landet und Martha sich befreit.

Schon über vierzig macht sie mit meinem kleinwüchsigen Mann eine Schiffsreise, der Mann ist irgendwie im Infantilen stecken geblieben aber dadurch sehr reizend. Martha nimmt ihn, weil es eh schon Wurst ist zum Mann.

In diese wundersam triviale Liebesgeschichte träufelt immer die Zeitgeschichte mit Randfiguren ein. Die Olympischen Spiele in München kochen die Bevölkerung kollektiv auf, ehe der Terroranschlag einen Katzenjammer auslöst und jede Heiterkeit auf Jahre hinaus zerstört. Ein 68er demonstriert so gut es geht gegen alles, vor allem gegen Atomlager und Umweltzerstörung, er wird schließlich von einem Kapitalisten in die Luft gesprengt, als dieser mit der Fernbedienung für das Garagentor zufällig auf der gleichen Frequenz die frisch gebastelte Bombe des Hobby-Demonstranten auslöst.

Herbert Rosendorfers Programm für Helden und Heldinnen läuft auch postum zur Hochform auf: Wer dem Alltag lange genug ins Auge blickt, wird von seinen grotesken Aufwinden aus der Gegenwart getragen!

Herbert Rosendorfer, Martha. Von einem schadhaften Leben. Roman.
München: Langen-Müller 2014. 342 Seiten. EUR 20,60. ISBN 978-3-7844-3343-1.

 

Weiterführende Links:
Langen-Müller Verlag: Martha. Von einem schadhaften Leben
Wikipedia: Herbert Rosendorfer

 

Helmuth Schönauer, 26-05-2014

Bibliographie

AutorIn

Herbert Rosendorfer

Buchtitel

Martha. Von einem schadhaften Leben

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Langen-Müller Verlag

Seitenzahl

342

Preis in EUR

20,60

ISBN

978-3-7844-3343-1

Kurzbiographie AutorIn

Herbert Rosendorfer, 1934-2012, war Schriftsteller, Jurist und Historiker.