Bart Moeyaert, Hinter der Milchstraße

„Aber ich schwieg. Bei Papa wurde ich immer sehr schnell still. Ich sammelte ganz allein meine Erinnerungen an die Ereignisse, ohne ihn. Wenn es so weiterging, überlegte ich, würde ich ein Astronaut werden, der sich eines Tages von ihm lösen und im Weltall verschwinden würde. Nichts, was ich erzählen wollte, war wichtig genug.“ (80)

Oskar und sein älterer Bruder Bossie verbringen die meiste Zeit ihrer Ferien mit ihre gemeinsame Freundin Geesje auf einer alten Steinmauer der Alteisen KG. Auf der einen Seite steht deren Lagerhalle, wo Petra und Priit arbeiteten und auf der anderen Seite befindet sich die Milchstraße. Allen ist ziemlich langweilig und so fantasieren sie von einem Klubhaus oder schließen eine Wette ab: Wer wird schneller sterben? Der alte Dackel, den sie Jeckyll nennen oder sein altes Frauchen, der sie den Namen Nancy Sinatra geben.

Als die alte Dame und ihr Hund am nächsten Tag nicht wie immer um 6 Uhr in Milchstraße auftauchen, spüren die drei, dass sie mit ihrer Wette eine Grenze überschritten haben. Als sie in der Umgebung nach der alten Dame fragen, bemerken sie, dass niemand viel über sie zu sagen weiß, obwohl sie jeden Tag, pünktlich zur selben Zeit die Milchstraße entlang spazieren.

Geesje ist die Wette vor allem deshalb unangenehm, weil sie dadurch an ihre Tante erinnert wird, die Krebs hat und im Sterben liegt. Aber auch Oskars und Bossies Familienleben ist alles andere als ungetrübt. Ihre Mutter befindet sich schon seit längerer Zeit in Italien, ohne dass die Kinder verstehen, warum sie fort ist und wann sie wieder kommen wird.

„Du musst Geduld haben. Mama ist langsam. Vergiss nicht, was sie im Brief von vor zwei Wochen geschrieben hat: Sie ist fast fertig damit, ihr Herz und ihren Kopf aufzuräumen.“ „Den Wirrwarr“, sagte ich. „Den Wirrwarr“, sagte Papa (82)

Als Geesje erzählt, dass sie Nancy Sinatra bei einem Besuch ihrer Tante im Krankenhaus zufällig gesehen haben, beschließen die drei Kinder die alte Dame zu besuchen. Als sich herausstellt, dass sich Geesje getäuscht und Nancy mit einem alten Mann mit ähnlichen Schuhen verwechselt hat, machen Oskar und Bossie auf der Heimfahrt mit dem Bus blöde Bemerkungen über Geesjes schielendes Auge. Als diese weinend aus dem Bus stürmt, wird den beiden bewusst, zu weit gegangen zu sein.

Bart Moeyaerts erzählt den Rückblick auf einen kurzen Lebensabschnitt aus der Perspektive distanzierten Perspektive des bereits älteren Oskar. Seine ruhige und klare Erzählweise der Ereignisse und Abläufe steht dabei in scharfem Kontrast zu den Unsicherheiten, Ängsten, Sorgen und Hoffnungen der Protagonisten, die aber nur selten explizit an die Oberfläche dringen, sondern sich meist nur erahnen lassen.

Die jungen Leserinnen und Leser begleiten drei unterschiedliche Kinder den Stück eines Weges mit und erleben deren Fehler und Schuldgefühle aber auch deren Mitgefühl, Freundschaft und Fantasie, die den meisten von uns merkwürdig vertraut erscheinen mögen. Dabei trifft Mirjam Presslers hervorragende Übersetzung mit viel Gefühl für jede Situation den richtigen Ton.

Moeyaert überaus empfehlenswerter Roman ist ein wundervolles Stück Jugendliteratur, die in einer Zeit lautstarker Action- und Abenteuergeschichten gerade durch ihre ruhige Erzählweise bewegt und beeindruckt.

Bart Moeyaert, Hinter der Milchstraße. Übers. v. Mirjam Pressler [Orig. Tit. De Melkweg], ab 11 Jahren
München: Carl Hanser Verlag 2013, 160 Seiten, 15,40 €, ISBN 978-3-446-24305-7

 

Weiterführende Links:
Hanser-Verlag: Bart Moeyaert, Hinter der Milchstraße
Wikipedia: Bart Moeyaert

 

Andreas Markt-Huter, 16-01-2014

Bibliographie

AutorIn

Bart Moeyaert

Buchtitel

Hinter der Milchstraße

Originaltitel

De Melkweg

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Carl Hanser Verlag

Übersetzung

Mirjam Pressler

Seitenzahl

160

Preis in EUR

15,40

ISBN

978-3-446-24305-7

Lesealter

Zielgruppe

Kurzbiographie AutorIn

Der in Brügge geborene Bart Moeyaert zählt zu den großen europäischen Kinder- und Jugendbuchautoren der Gegenwart. Er lebt seit 2006 in Antwerpen und unterrichtet Creative Writing an der dortigen Royal Art School. Außerdem schreibt er Drehbücher und Theaterstücke und übersetzt aus dem Deutschen, Englischen und Französischen.