Güni Noggler, Eine Selbstverständlichkeit

Buch-CoverEin Leben, das voller Selbstverständlichkeit abläuft, kann durchaus dick daherkommen. Güni Noggler erzählt auf beinahe siebenhundert Seiten in großen Schleifen von einem Dutzendleben, wie es im zwanzigsten Jahrhundert wohl mannigfach vorgekommen ist.

Leopold Kramer ist ein lebensintelligenter Mensch, der stets den Anforderungen der jeweiligen Gesellschaft gewachsen ist. Doch jetzt, am Ende seiner Durchschnittskarriere, löst sich sein Leben nicht nur biologisch auf, auch was ihn ideell zusammengehalten hat, geht restlos in die Binsen.

Das Ende kommt in drei Schritten, die cool Umzug, Einzug, Auszug genannt werden. Der ehemals hochgeachtete Schuldirektor wird eines Tages ins Altersheim verfrachtet, aber er behält seinen stolzen Gang bei und gilt als einer der fittesten im Heim. Im nächsten Schritt erleidet er auf offenem Feld einen Schlaganfall und kommt als gelähmter Mensch auf die Intensivstation, zum Wrack degeneriert verlegt man den Helden schließlich in die Pflegestation des Altersheimes, wo er unter elendiglichen Umständen stirbt.

Dieser biologische Abstieg ist an und für sich schon ein Schicksal, das unter die Haut geht und dem Leser nichts schenkt. Ziemlich aufwühlend aber wird diese Geschichte, weil Leopold Kramer nicht irgendwer ist, sondern der Durchschnittsmensch an Selbstverständlichkeit und Unauffälligkeit.

In Rückblenden erfahren wir, dass er bei der SS war und in Mauthausen Vernichtungsprogramme in großem Stil durchgeführt hat. Geradezu absurd ist seine Erfindung einer doppelten Gaskammer, mit der man ähnlich einer Doppelmühle ununterbrochen Vergasungen durchführen konnte. Diese ?gesunde Lebenseinstellung des Wahnsinns hilft Leopold Kramer auch nach der Nazi-Zeit, er organisiert sich saubere Papiere, wird Lehrer und Direktor. Nebenbei führt er eine berührend einfache Ehe, liebt seine Tochter und schließlich seinen Enkel, auch wenn die Tochter nicht gerade eine lupenreine Ehe hinkriegt.

Im provinziellen Kleinstadt-Milieu geht Leopold Kramers Karriere schließlich glanzvoll-gewöhnlich zu Ende und wirft dennoch eine unbeantwortbare Frage auf: wie kann ein Leben so widersprüchlich glatt ablaufen, indem Massenmord und Lebenskultur so easy ineinander übergehen?

Güni Noggler erzählt ganz nah am Helden, die beinahe darwinistische Logik, wonach eben alles selbstverständlich biologisch abzulaufen hat, wird unterbrochen von kulturphilosophischen Einschüssen. Gerade weil der Autor nie moralisierend eingreift, wird sein Held so zugänglich, trotz seines Wahnsinn-Programmes. Und uns Lesern bleibt ein ordentliches Stück Staunen bei offenem Mund: Wenn unsere Kultur solche Biographien hervorbringt, dann ist sie vielleicht gar nicht so humanistisch, wie sie immer tut.

Güni Noggler, Eine Selbstverständlichkeit.
Neckenmarkt: novum Verlag 2008. 657 Seiten. EUR 23,90. ISBN 978-3-85022-273-0.

 

Weiterführende Links:
Novumverlag: Güni Noggler, Eine Selbstverständlichkeit
Homepage: Güni Noggler

 

Helmuth Schönauer, 10-10-2008

Bibliographie

AutorIn

Güni Noggler

Buchtitel

Eine Selbstverständlichkeit

Erscheinungsort

Neckenmarkt

Erscheinungsjahr

2008

Verlag

novum Verlag

Seitenzahl

657

Preis in EUR

23,90

ISBN

978-3-85022-273-0

Kurzbiographie AutorIn

Güni Noggler, geb. 1962, lebt in Schwaz.