Stephan Schulmeister, Der Weg zur Prosperität

Titelbild: Stephan Schulmeister, Der Weg zur Prosperität„Vor fünfzig Jahren herrschte Vollbeschäftigung, die Staatsverschuldung war zwanzig Jahre lang gesunken, der soziale und europäische Zusammenhalt war stärker als heute. Warum hat sich die Lage in Europa seither schleichend verschlechtert? Welche Einsichten braucht es, damit wir die gesellschaftliche Entwicklung nicht als »Sachzwang« erleben, sondern als gestaltbar, und zwar von uns selbst? Welche Wege führen aus der Krise?“ (9)

Verständlich und detailliert weist Stephan Schulmeister die vorherrschende neoliberale Wirtschaftstheorie, die sich mittlerweile zur gesellschaftspolitischen Religion entwickelt hat, als Ursache für den beständigen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Niedergang in Europa nach.

Im 1. Kapitel „Theorieproduktion als sozialer Prozess“ setzt sich der Autor mit unterschiedlichen Wirtschaftstheorien wie Keynesianismus und Neoliberalismus auseinander, die sich hinsichtlich ihrer realistischen oder idealistischen Betrachtungsweise der Wirtschaft und Märkte fundamental unterscheiden, was am Beispiel der unterschiedlichen Beurteilung der Krise in Griechenland veranschaulicht wird.

In einem Exkurs über die Wissenschaftstheorie des Mediziners Ludwik Fleck, der Thomas S. Kuhns Vorstellung der Paradigmen wissenschaftlicher Diskurse vorweggenommen hat, wird gezeigt, wie Denkkollektive entstehen und deren Theorien zum selbstreferentiellen Denksystem mutieren, das wiederum die Grenzen wissenschaftlichen Denken und empirischen Erkennens festlegt.

Ebenso wird aufgezeigt, wie Adam Smiths - der von neoliberaler Seite gerne als Gewährsmann betrachtet wird - die „ökonomische Grundidee“ von der „unsichtbaren Hand des Marktes“ zugeschrieben und in sein Gegenteil verkehrt wird. Während für Smith Anteilnahme, Sympathie und Moral das Fundament der Gesellschaft bilden, lenkt der Markt aus neoliberale Sicht mit unsichtbarer Hand den Egoismus der Einzelnen zum Besten für die Allgemeinheit.

Das 2. Kapitel „Von der Depression zur Prosperität und zurück“ zeigt, wie aus den Lehren der Weltwirtschaftskrise, aus der sich der „Keynesianismus als Fundament von sozialer Marktwirtschaft und Prosperität“ (58) durchsetzen und nach dem 2. Weltkrieg bis in die 1970-er Jahre in Europa zur Grundlage für einen beispiellosen Wohlstand werden konnte.

John Maynard Keynes war es gelungen sich mit seiner „General Theory“ gegen seinen größten Konkurrenten, den österreichische Ökonomen Friedrich August von Hayek, durchzusetzen, der jedoch hartnäckig sein Ziel, der neoliberalen Gesellschaft zum Durchbruch zu verhelfen, durch die Gründung weitverzweigter Netzwerke und Gesellschaften weiterverfolgt hat. Mit der Wirtschaftskrise in den 1970-iger Jahren gelingt zunächst in den USA und Großbritannien die Wende Richtung Neoliberalismus, die später ganz Europa erreichen wird.

Kapitel 3 „Ein neuer theoretischer Rahmen“ erläutert die fundamental gegensätzlichen Spielanordnungen „Realkapitalismus“ versus „Finanzkapitalismus“. Im Realkapitalismus stehen die Produktion realer Güter und Dienstleistungen im Zentrum, wobei Unternehmer, Arbeiter und Konsumenten in einer engen Wechselbeziehung stehen, wodurch in einem Umfeld wirtschaftlicher Sicherheit ein kontinuierliches Wachstum möglich ist.

Im Finanzkapitalismus werden keine realen Werte produziert, sondern Geldwerte vermehrt, wobei der Gewinn des einen, immer den Verlust des anderen nach sich zieht. Geld wird zum Selbstzweck und dient nicht mehr als Mittel der Produktion, wodurch die Spekulation angeheizt und die Realwirtschaft in ständige Krisen versetzt werden. Im Mittelpunkt steht die Vorstellung „das Geld für sich arbeiten“ zu lassen.

Während die Realwirtschaft gutverdienende Arbeiter benötigen, die ihre Produkte auch kaufen können, erscheinen Arbeiter in der finanzkapitalistischen Spielanordnung nur als Kostenfaktor, den es zu senken gilt. Außerdem investieren Unternehmer ihr Geld zunehmend in die Finanzwirtschaft, statt wie früher Kredite für Investitionen in das eigene Unternehmen aufzunehmen, was den Staat zunehmend zu einzigen möglichen Schuldner dieser Wirtschaftsanordnung macht. Der Versuch die Schulden wieder abzubauen eröffnet den Kreislauf zunehmender Arbeitslosigkeit und Staatsschulden.

Das 4. Kapitel „Europa in der Sackgasse“ deckt die neoliberale Therapie der Einsparungen in den Staatshaushalten als Teil der wirtschaftlichen Depression und Stagnation auf, wie am Beispiel der Krise in Südeuropa aufgezeigt wird. Einen großen Anteil der europäischen Wirtschaftskrise wird der deutschen Austeritätspolitik seit den 90-iger Jahren sowie der völlig verfehlten Einführung des Euro nach neoliberalen Grundsätzen zugeschrieben, was den Euro-Raum sowie die gesamte Europäische Union in eine immer größere Krise stürzen wird.

Kapitel 5 „Eine verheerende Gesamtbilanz“ zeigt die Folgen der herrschenden finanzkapitalistischen Spielanordnung auf, die zu immer häufigeren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krisen führt und das europäische Sozialmodell und den gesellschaftlichen Zusammenhalt „demoliert“. Zudem haben neoliberale Grundwerte das politische und gesellschaftliche Leben, von der Bildung bis zum Beziehungsleben, in allen Bereichen grundsätzlich verändert.

Im 6. und letzten Kapitel „Navigation aus der Krise“ versucht Stephan Schulmeister einen Weg aus der Krise aufzuzeigen, den er in der Überwindung des „Finanzkapitalismus“ und in einer Rückkehr zum Realkapitalismus und zum Europäischen Sozialmodell sieht. Dies kann nur gelingen, wenn die festgefahrene Vorstellung vom „alles regelnden Markt“, der von der Politik befreit bleiben soll, aufgegeben wird. Dazu bedarf es einer neuen Aufklärung.

„Wenn jedes Schulkind lernt, dass jede Torheit, wie groß sie auch ist, durch passende Propaganda glaubwürdig gemacht werden kann, wird der kritische Widerstand gegen die Propaganda anwachsen.“ (Ludwik Fleck, S. 367)

Stepan Schulmeister gelingt es, in seinem überaus wichtigen Werk, die komplexen Hintergründe der langanhaltenden Wirtschaftskrise verständlich und detailreich zu aufzuzeigen. Dabei werden die meist unausgesprochenen Grundlagen politischen und wirtschaftlichen Handelns analysiert und ihres nahezu religiösen Charakters entkleidet, wie z.B. die häufig genannte Rechtfertigung „There is no Alternative“.

Ein überaus empfehlenswertes und lesenswertes Sachbuch zur Wirtschaftstheorie, deren Verständnis für die weitere gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Entwicklung in Europa und der Welt von großer Bedeutung ist.

Stephan Schulmeister, Der Weg zur Prosperität.
Elbethen: Ecowin Verlag 2018, 480 Seiten, 28,00 €, ISBN 978-3-7110-0148-1

 

Weiterführende Links:
Ecowin Verlag: Stephan Schulmeister, Der Weg zur Prosperität
Wikipedia: Stephan Schulmeister

 

Andreas Markt-Huter, 30-05-2018

Bibliographie

AutorIn

Stephan Schulmeister

Buchtitel

Der Weg zur Prosperität

Erscheinungsort

Elbethen

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Ecowin Verlag

Seitenzahl

480

Preis in EUR

28,00

ISBN

Stephan Schulmeister forschte von 1972 bis 2012 am von Friedrich A. von Hayek gegründeten Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO in Wien und gehört zu den bekanntesten Ökonomen Österreichs. Seine Forschungsschwerpunkte sind die längerfristige Wirtschaftsentwi

Kurzbiographie AutorIn

Stephan Schulmeister forschte von 1972 bis 2012 am von Friedrich A. von Hayek gegründeten Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO in Wien und gehört zu den bekanntesten Ökonomen Österreichs. Seine Forschungsschwerpunkte sind die längerfristige Wirtschaftsentwicklung und das Verhältnis von Real- zur Finanzwirtschaft. Er kritisiert den Neoliberalismus als Ideologie im Interesse des Finanzkapitals, nicht des Realkapitals, und sieht sich daher als Freund des Unternehmertums.