Giwi Margwelaschwili, Bedeutungswelten

giwi margelaschwili, bedeutungsweltenDie Heftigkeit eines Lebens lässt sich unter anderem daran messen, wie lange ein Interviewer braucht, um das Wesentliche einer Lebenskarriere darzustellen.

Bei Giwi Margwelaschwili dauert es fünf Tage im Frühjahr 2016, bis der Verleger des Verbrecherverlages Jörg Sundermeier mit den wichtigsten Fragen durch ist. Es kommt aber auch alles zusammen, was ein unglaubliches Leben ausmachen kann. Und wo die Fakten durch bloße Anrufung nicht ausreichen, werden manche Lebensstationen geschönt und zur allgemeinen Nachahmung aufbereitet.

Zwischen 1954 und 1957 erhält Giwi zudem eine Aspirantur am Germanistikum, ohne jemals den Doktorgrad für seine Arbeit zuerkannt zu bekommen. (152)

So schön ist noch nie ein unvollendetes Studium beschrieben worden!

Die dramaturgisch durchaus heldenhaften Stationen des Interviewten sind Geburt als staatenloser Georgier in Berlin, Schule und Nazi-Überwinterung in der Vorstadt Wilmersdorf, Flucht nach Italien 1945, Rückkehr nach Berlin, Verhaftung durch die Sowjets, Lagerhaft im ehemaligen KZ-Sachsenhausen, Zwangsdeportation nach Tiflis zu unbekannten Verwandten, ab 1990 Berlin, deutsche Staatsbürgerschaft, ab 2011 Rückkehr nach Tiflis, georgische Staatsbürgerschaft.

In Insiderkreisen ist der Träger dieses Lebenslaufs berühmt für seine philosophischen Texte zu Husserl und Heidegger, er nennt sich auch Ontotextologe. Im fiktionalen Bereich sind vor allem seine Wakusch-Romane bekannt, worin die Weltlage mit eigenen Begriffen dargestellt wird. So sind etwa Kolchos die Sowjetunion und Kolchis das alte Georgien.

Während des Interviews in Tiflis ist im Hintergrund alles voller Skripten und Entwürfe, einiges ist bereits lektoriert, aber der entsprechende Verlag ist noch vor der Publikation eingegangen. Der 90-Jährige berichtet in einem Ton, worin Fiktion, Romanebene, Erinnerung, Wahrheit, Tagebuch und politische Retrospektive vermengt sind.

Als wunderschönes Beispiel lässt sich das „Iß-mich-Restaurant“ anführen.
Das heißt wirklich so? - Kann sein, dass ich es erfunden habe, jedenfalls haben wir darin gegessen.

Dieser Zusammenhang zwischen Fakten und Wahrheit führt auch zu diversen Romantheorien, die sich am ehesten mit dem Postmodernismus vergleichen lassen. Auf jeden Fall muss sich der Leser das als Wahrheit herausklauben, was er als Wahrheit braucht. Darin steckt auch jede Menge Argwohn und Zynismus gegenüber allen Wahrheiten.

Der Autor erzählt auch, dass man sich in der Sowjetunion zumindest unter Chruschtschow alles besorgen hat können, was man hat lesen wollen.

Fühlten Sie sich zu dieser Zeit niemals als einsam? - Nein, mit Deinen Buchpersonen bist Du nicht einsam. (125)

„Bedeutungswelten“ sind als Einführung in das Gesamtwerk gedacht, heißt es einmal, sie sind aber in Wirklichkeit ein großartiges Meisterwerk voller Ironie und feiner Distanz zu aufgeregten Mythen. Wenn es sein muss, muss man auch die Bibel umschreiben, heißt es einmal ganz logisch.

Giwi Margwelaschwili, Bedeutungswelten. Giwi Margwelaschwili im Gespräch mit Jörg Sundermeier
Berlin: Verbrecher Verlag 2017, 159 Seiten, 15,50 €, ISBN 978-3-95732-239-5

 

Weiterführende Links:
Verbrecher Verlag: Giwi Margwelaschwili, Bedeutungswelten
Wikipedia: Giwi Margwelaschwili
Wikipedia: Jörg Sundermeier

 

Helmuth Schönauer, 21-12-2017

Bibliographie

AutorIn

Giwi Margwelaschwili / Jörg Sundermeier

Buchtitel

Bedeutungswelten. Giwi Margwelaschwili im Gespräch mit Jörg Sundermeier

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Verbrecher Verlag

Seitenzahl

159

Preis in EUR

15,50

ISBN

978-3-95732-239-5

Kurzbiographie AutorIn

Giwi Margwelaschwili, geb. 1927 in Berlin, lebt in Tiflis.

Jörg Sundermeier, geb.1970 in Gütersloh, ist Verleger und Journalist in Berlin.