Petra Ganglbauer, Mit allen Sinnen

petra ganglbauer, mit allen sinnenIn der Literatur sind alle Zeiten gleichzeitig vorhanden, wenn wir uns auf den Weg machen, eine Erinnerung, eine Stadt oder eine Freundschaft abzurufen.

Petra Ganglbauer hat vor gut dreißig Jahren Graz verlassen und ist nach Wien gezogen, aber deshalb hat die Stadt noch lange nicht ihre Bindungen und Emotionen gekappt. Im Gegenteil, wenn jemand nach so langer Zeit einen intensiven Erkundungsaufenthalt angeht, springen plötzlich alle Sinne an. Deshalb ist dieses literarische Begegnungsbuch auch ein Rundum-Erlebnis, worin sich Kindheit, Spaziergänge, Plätze und Freunde auf dem Pflaster der Zeit wiedereinfinden.

Die Autorin stellt Überlegungen an, wie man sie Stadt gegenwärtig erfassen könnte, ohne dass sie von Erinnerung überblendet oder ausgeblendet würde.

Soll ich meine Bild-, Klang- oder Geruch-Geschichte oder eine neue schreiben? (12)

Eine alte Tagebucheintragung taucht auf: Ein Schneemann weint doch nicht! Und was hat Graz in der Zwischenzeit wirklich gemacht? Auf einem Plakat steht etwas von 80 Tagen um die Welt, dem muss man gegenübersetzen: In zehn Tagen durch Graz.

Allmählich ist die Stadt in der Wahrnehmung so weit eingekreist, dass man darangehen kann, sie zu verdichten. Bilder werden evoziert und wieder verworfen. Eine Zeitlang ist es ein Würfel, der alles beherrscht. Die Stadt als Würfel-Kubatur, an deren Kanten man sich schneiden kann, als bröseliger Würz-Würfel, der zerfällt, wenn man ihn zwischen die Finger nimmt. „Ich mache mich selbst zur Touristin.“ Nach dieser Methode geht die Stadt plötzlich auf. Was aber, wenn jemand nicht touristisch unterwegs ist?

Wenn man sich auf die Gerüche verlässt, ist zu manchen Stunden alles voller Kaffee, und in jeder Melange liegt eine Geschichte, worin jemand rührt.

„Ich bebildere die Stadt mit Worten.“ Mit den Bildern lässt sich anknüpfen an die Kindheit, wo vieles erstmals mit Wörtern unterlegt worden ist, die aus einem Bild gesprungen sind. Ist das Glockenspiel überhaupt ein Bild? Oder war alles anders?

Eine Zeitlang hat man überall Indianer mit Schlag gegessen, ist das eine bestimmte Zeit gewesen, die Kindheit, oder wirklich die Stadt?

Beim Suchen nach Bildern tritt er dann auf, der Vater, als Mangelerscheinung. Nicht nur seine Abwesenheit macht immer noch Kummer, es ist pure Brutalität, die in seiner Ignoranz liegt. Was ist, wenn die Stadt eine Männerstadt ist in voller Brutalität?

Petra Ganglbauer ertastet mit allen Sinnen ein Gebilde, das halb öffentlich, halb privat ist. Die Erkundungen setzen an den Koordinaten des Stadtplans an, die einzelnen Sinnesquadranten werden umrissen und öffentlich nachlesbar. Aber dann beginnt der Empfindungsstrom des Individuums zu fließen, jede Erinnerung ist privat, das ist ja die Aufgabenstellung an die jeweiligen Benützer der Stadt.

Petra Ganglbauer, Mit allen Sinnen. Literarische Begegnungen. Ein Graz-Buch.
Graz: Edition Keiper 2018, 103 Seiten, 18,00 €, ISBN 978-3-903144-46-0

 

Weiterführende Links:
Edition Keiper: Petra Ganglbauer, Mit allen Sinnen
Wikipedia: Petra Ganglbauer

 

Helmuth Schönauer, 27-05-2018

Bibliographie

AutorIn

Petra Ganglbauer

Buchtitel

Mit allen Sinnen. Literarische Begegnungen. Ein Graz-Buch

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Edition Keiper

Seitenzahl

103

Preis in EUR

18,00

ISBN

978-3-903144-46-0

Kurzbiographie AutorIn

Petra Ganglbauer, geb. 1958 in Graz, lebt in Wien.