Heinrich Klier, Etschland-Ballade Ein Südtirolroman

Buch-Cover

"So, wer ist jetzt der Musso? Den stecken wir in das Loch und schiffen drauf. Einer muß den Musso spielen." (104)

Die Kinder spielen in allen Kulturen am unverfrorensten. Im Südtirol-Epos aus kalter Nachkriegszeit, spielen die Kinder Mussolini, die Zeitgeschichte liegt allenthalben zum Greifen auf, Worthülsen, Emotionen und Handgreiflichkeiten werden mit beiden Händen ausgefasst und ausgegeben.

Etschland-Ballade ist ein politischer Zeitroman, der nicht für die Unsterblichkeit deuteln möchte, sondern die Stofflage um 1957 mit vollen Herzkammern beschreibt. Dass dabei aus heutiger Sicht viel Pathos und Wortdonner verwendet worden ist, macht den Roman im Zweifelsfalle witzig.

Manchmal hat es den Anschein, als ob sich die Figuren selbst den Semmel nicht glaubten, den sie einander ununterbrochen auftischen. Traudl Innerhofer gibt die zerrissene Heldin, der es die Herzkammer bis zum Schluss zerfetzt. Sie gleicht dabei irgendwie dem geschundenen Land Tirol, das auch getrennt und zerrissen ist, dabei müssen die zwei Herzkammern zusammenschlagen, wie es medizinisch richtig gefordert wird, damit das Land leben kann.

Traudl hat in Innsbruck Pharmazie studiert, jetzt geht sie ins emotional gebeutelte Heimatland Südtirol zurück. Sie soll bei einem italienischen Apotheker arbeiten, aber da ist die Sippschaft dagegen, zu einem Walschen wird nicht gegangen. Also bleibt die hochausgebildete Frau am kümmerlichen Hof hängen und übt sich in Bodenkultur und Patriotismus.

Zwei Männer umwerben sie, ein italienischer Soldat und ein heimischer bodenständiger Kerl, am Schluss kommt es zu einem Showdown. Getroffen schwinden die Sinne der Heldin und überlassen Südtirol der Geschichte.

Der Roman läuft in guter Lesebuchmanier als Jahreskreis-Roman ab, allerdings gibt es, wie in Tirol üblich, fünf Jahreszeiten. Die Kapitelüberschriften Frühling über Radnaun, Sonnenwende, Hochsommer, Früher Herbst und Welkender Thymian beschreiben dramatisch das erzählte Jahr, in dem Zeitgeschichte und individuelle Heldengeschichte um die Wette reifen.

Der Soldat wird während der Saison versetzt, wodurch sich der Schmachtfaktor erhöht, und der Bruder von Traudl gleitet in den Terrorismus ab, wie man heute sagen würde. Aus seiner Weltsicht formuliert muss er freilich etwas tun, einen Staudamm sprengen beispielsweise, weil das den Walschen am meisten weh tut, wenn der Strom weg ist.

Wo immer zwei Figuren zusammenkommen, reden sie im Ton historischer Proseminare. Ständig werden Friedensverträge, Kampfeinsätze und historische Schikanen memoriert, die Option hat tiefe Wunden hinterlassen, weil die Dableiber und Aussiedler noch nicht zusammengefunden haben, und hinter jeder Biegung steckt vielleicht ein walsches Wort, das schon durch den bloßen Wortklang den ganzen Tag versaut. Dabei reden die Südtiroler ein archaisches Deutsch mit mindestens drei Kehllauten am Beginn jedes Atemeinsatzes. In der Freizeit wird Theatergespielt, wobei jene Truppe gewinnt, die das patriotischste Stück auf die Bühne bringt.

Ein eigenes Kapitel stellt die alpin-bäuerliche Erotik dar. Traudl zerreißt es förmlich vor sekundären Geschlechtsorganen, ständig bauscht sich etwas unter dem Loden. Überhaupt wachsen den Mädchen oft beim bloßen Hinschauen der Männer die Brüste. Unterbrochen wird diese alpine Softerotik nur durch Glockengeläut, Beichten, Kommunion und Viehmärkte. Die Heftigkeit, mit der erzählt wird, lässt uns nachgefahrene Leser auch nach knapp fünfzig Jahren noch schaudern. Hier wird keine einzige Szene lau erzählt, im Zweifelsfalle ist halt eben die Butter zu dick auf das Brot der Empfindung aufgetragen.

Etschland-Ballade verträgt es durchaus, auch heute noch gelesen zu werden, auch wenn sich die Ernsthaftigkeit wohltuend in Ironie aufgelöst hat. Aber andererseits ist man verblüfft, wie manche Figuren etwa in Gestalt einer Eva Klotz heute noch mit ihren Perückenzöpfen herum tollen und in der Öffentlichkeit gute Heimatsätze von sich geben. Etschland-Ballade ist ein guter Ausflug in die jüngere Geschichte, man kommt ziemlich relaxed aus jener Zeit zurück und bemerkt, wie entspannt und geradezu übernormal dieses ganze Südtirol-Schicksal mittlerweile geworden ist.

Das 1957 erschienene Buch ist bereits vergriffen. Sie können den vollständigen Text Etschland-Ballade aber unter Austrian Literature Online lesen.

Heinrich Klier, Etschland-Ballade. Ein Südtirolroman.
Wien: Kremayr & Scheriau 1957. 478 Seiten.

 

Helmuth Schönauer, 21-07-2004

Bibliographie

AutorIn

Heinrich Klier

Buchtitel

Etschland-Ballade. Ein Südtirolroman

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

1957

Verlag

Kremayr & Scheriau

Seitenzahl

478

Kurzbiographie AutorIn

Heinrich Klier, geb. 1926 in Zirl, lebt in Innsbruck.