Waltraud Mittich, Berühren Sie jedes

Buch-Cover

Dolly Meyer klingt irgendwie künstlerisch und hat den ironischen Unterton des geklonten Schafes Dolly an sich.

In Waltraud Mittichs Roman geht es tatsächlich um das Klonen von Erwartungen, von realen und künstlichen Welten, um das Urbild und sein Abbild.

Dolly Meyer ist als junge Frau rechtzeitig aus dem Gebirge Südtirols ausgebrochen und hat in New York eine erfolgreiche Karriere als Fotografin gemacht. Jetzt ist sie auf dem Erinnerungstrip, nicht umsonst heißt es: ?Dolly Meyer mit dem retro touch!? (19)

Im ersten Teil laufen Anwesenheit in der ehemaligen Heimat, Geschichten in unmittelbaren Erzählungen und seelische Erinnerungen halbwegs abgeschlossen zusammen. ?Der Berg. Die Brache: da ist der Stillstand.? (20) Von dieser Meditation ausgehend spult sich das bisherige Leben in scharfen Bildern ab. Hauptfigur ist der Grenzer, der damals sofort zum Liebhaber geworden ist, alle weiteren Verhältnisse müssen sich an diesem Grenzer messen.

Einmal ist ein Mädchen ermordet worden, grausamer Höhepunkt eines schroffen Lebens im Gebirge. Und auch die Sprache ist manchmal recht grob. Da staunen die Männer nicht schlecht, wenn ein Mädchen ?brunzen? (35) sagt. Mitten unter einem Volk von Hotelbediensteten ohne Identität gibt es sonst keine eigene Sprache, nur gemietete Wörter.

Schon im Abschnitt ?Metamorphosen? verändert sich alles, nicht nur, dass die Zeit im Dorf zu wackeln beginnt, auch die Erinnerung daran setzt sich in immer neuen Installationen ab. Langsam fließt das Erlebte in das Erinnerte über. Allmählich wird auch aus dem Erinnerungsroman ein Kunstroman, jede Menge Theorie und Überlegungen zur Ästhetik flimmern ein, die politischen Verhältnisse werden erinnerungsarchäologisch ausgegraben und entstaubt.

Manchmal sind Zitate aus der Bildungswelt offensichtlich dazu da, Leser und Autorin zu verknüpfen. Wenn etwa diese alte Zeile aus dem Hildebrandslied auftaucht, wo jemand was sagen hört, dann spürt man die Verlässlichkeit dieses kontinentalen Matura-Niveaus, es gibt eben verlässliche Sätze zum Zitieren.

Der Titel des Romans geht auf eine ?Statement-Gedicht? Paul Blackburns zurück.

?Behalten Sie ihren Sinn für Witze bei / und lachen Sie so oft wie möglich / sterben Sie gut machen Sie Kinder / essen Sie so gut sie können, aber nicht / zuviel / leben Sie / bieten Sie Hilfe an / nehmen Sie an / und kämpfen Sie / berühren Sie jeden.? (125)

In einem geglückten Leben werden die Sätze zu Ratgebersätzen, plötzlich gibt es Antworten auf nicht gestellte Fragen. Waltraud Mittichs Roman zeigt wunderbar, wie man in immer genauere Felder der Beobachtung gerät, wenn man sich aus dem bisher Beobachteten nur radikal genug enthäutet. So wird der ursprüngliche Kern eines eng gefassten Heimatromans zu einem wunderbar weiten Feld der Beobachtungsbegierde.

Waltraud Mittich, Berühren Sie jedes. Roman.
Innsbruck: Skarabaeus 2004. 140 Seiten. EUR 15,-. ISBN 3-7082-3158-9.

 

Helmuth Schönauer, 27-10-2004

Bibliographie

AutorIn

Waltraud Mittich

Buchtitel

Berühren Sie jedes

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2004

Verlag

Skarabaeus

Seitenzahl

140

Preis in EUR

EUR 15,-

ISBN

3-7082-3158-9

Kurzbiographie AutorIn

Waltraud Mittich, geb. 1946 in Bad Ischl, lebt in Bruneck.