Janko Ferk, Mein Leben. Meine Bücher

janko ferk, mein leben, meine bücherJe heftiger du vom Lesen schwärmst, umso weniger glaubst du vielleicht daran. – Diese schlaue Erkenntnis von Bibliothekaren, die sich mit aufgekratzter Kundschaft auseinandersetzen müssen, sollte man auch probehalber für Dichter anwenden, die zum Ruhestand in eine potentielle Lese- oder Schreibkrise geraten sind.

Janko Ferk nennt seine persönlichste Erzählung „Mein Leben. Meine Bücher“. Darin beschreibt ein ziemlich „authentisches Ich“ zehn Bücher, die es zu einem außergewöhnlichen Leben verführt haben. Die Erzählung ist erfüllt von Glück, Aufregung, Anspannung und Genugtuung, dem Helden ist nämlich nichts anderes gelungen als ein literarisch erfülltes Leben.

Diese Stimmung lässt sich auch objektiv von außen nachvollziehen. Janko Ferk gilt nämlich in Fachkreisen als die Kernfusion von Justiz und Fiktion. Fundament dieser literarischen Operation ist Franz Kafka, der tagsüber als Jurist im Versicherungswesen ausweglose Situationen beschrieben und in der Nacht als „Durchschreiber“ auf einem halb traumhaften, halb traumatisierten Erzählfeld ausgeschüttelt hat.

Von klein auf ist Janko Ferk mit dieser Verquickung von Soll und Sein im Sinne einer Verfassungsgerechtigkeit berührt. Die Kultur der Slowenen und ihre Rechte in der Verfassung wurden nach absurden Ortstafelstreitereien erst spät der Gerechtigkeit zugeführt. Der Autor ist in dieser oft hermetischen Situation ähnlich isoliert wie der Deutsch schreibende Kafka im monarchischen Prag.

Der „Prozess“ von Franz Kafka ist das Lebensbuch des Janko Ferk geworden und er beschreibt diese Ergriffenheit, die ihn dabei erfasst hat, so, dass man als Leser angehalten ist, seinen eigenen Leseprozess ausfindig zu machen und zu würdigen.

Die wichtigste Erkenntnis beim Lesen und in der Justiz ist die Ähnlichkeit der Vorgänge, mit der Gerechtigkeit als faktische Gegebenheit ausgerufen wird. Was das Gericht sagt, ist so – bis vielleicht eine andere Instanz etwas anderes spricht. Was du heute über ein Buch geurteilt hast, ist so, bis du vielleicht ein andermal ein anderes Urteil sprichst.

Lesen als performativer Vorgang, das kann letzten Endes dazu führen, dass das Leben nicht nur während der Abwicklung gelingt, sondern sich auch in der Rückschau sehen lassen kann.

Eine ähnliche Würdigung wie der Prozess erfahren in dieser Logik auch die Bibel und die österreichische Verfassung von Hans Kelsen. In beiden Fällen wird Recht gesprochen, dem sich der kluge Leser anschließt. Nicht erst seit der Bundespräsident beinahe kitschig von der Verfassung schwärmt, wenn er wieder einmal einen Regierungsbruch kitten muss, ist es den meisten Staatsbürgern klar, dass dieses Stück Text der Verfassung aus mehr besteht als bloß aus Paragraphen.

Eine Religion zu stiften oder eine Verfassung zu entwerfen dürfte ein ähnlich fordernder Vorgang sein!

Aus literarischer Sicht kommt Peter Handke diesem religionsstiftenden Zugang am nächsten. In einem Lesebuch, das der junge Janko Ferk verschlingt, weil er nicht fassen kann, dass er als Kärntner Schüler einen Kärntner Autor im Lesebuch zu Gast hat, sticht der seltsame Satz aus dem Fließtext: „Das Wurstblatt hängt aus der Semmel.“ (38) Der Text ist aus dem Roman „Der Hausierer“, und dieser geht auf einer Unterebene dem Verhältnis Recht, Gerechtigkeit, Kriminalfall nach. Nicht umsonst endet der Roman damit, dass die Kinder bereits „den Mord spielen“. Sie haben das Verbrechen ritualisiert und ein Spiel daraus gemacht.

Eine weitere Parallele zu Handke tut sich für den angehenden Juristen auf, als er sich mit Vorstudien des frühen Handke beschäftigt, als dieser noch in Graz Jus studiert. Über die slowenische Sprache ist ein weiteres Band zwischen den beiden geknüpft. Längst bekannt und anerkannt vergessen beide nie diesen seltsamen Lebenshauch, der auf beiden Seiten der Karawanken weht. Beide übersetzen slowenische Literatur und drängen, dass die Verfassung endlich angewendet wird. Janko Ferk fragt, warum noch immer kein slowenischer Richter ins höchste Amt gewählt ist. Freilich, eine Kannbestimmung, aber es stünde der Republik gut an, im Geiste der Verfassung die Hand aus der Hose zu nehmen.

Mit dem Übersetzen hat schließlich das zehnte Buch zu tun, das in dieser Erzählung wie die Gesetzestafeln des Moses die wichtigsten Fälle streift. Niko Grafenauer wird mit seinen Palimpsesten gewürdigt, die den Titel „Eingewebte spur“ erhalten. Die Vorgangsweise des Übersetzens entspricht vielleicht jener des „Rechtsprechens“.

Bemerkenswert ist das Verhältnis zwischen Vorlage und Skript, Vorfall und Gericht. Im germanistischen Jargon geht es um das Verhältnis Hypotext und Hypertext.

Der Hypotext liegt allem zugrunde, was später durch Modifikationen auffällt, wie Paraphrase, Parodie oder Imitation. Der Leser schafft zum Hypotext seinen persönlichen Hypertext!

So lässt sich vielleicht der wundersame Titel halbwegs verstehen. „Mein Leben“ ist bei Janko Ferk etwas, das untrennbar mit „meine Bücher“ verbunden ist. Dazwischen liegt die Erzählung, die beruhigend wirkt.

Freilich lässt sich die Unruhe, die beim Lesen als Leben entsteht, nie weg-erzählen. Kann sein, dass morgen schon wieder diese Frage auftaucht. Aber Janko Ferk hätte auch morgen eine passende Erzählung.

Janko Ferk, Mein Leben. Meine Bücher. Erzählung
Innsbruck: Limbus Verlag 2022, 138 Seiten, 18,00 €, ISBN 978-3-99039-207-12

 

Weiterführende Links:
Limbus Verlag: Janko Ferk, Mein Leben. Meine Bücher
Wikipedia: Janko Ferk

 

Helmuth Schönauer, 25-08-2022

Bibliographie

AutorIn

Janko Ferk

Buchtitel

Mein Leben. Meine Bücher

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2022

Verlag

Limbus Verlag

Seitenzahl

138

Preis in EUR

18,00

ISBN

978-3-99039-207-12

Kurzbiographie AutorIn

Janko Ferk, geb. 1958 in St. Kanzian, lebt in Klagenfurt.