alain denault, die herrschaft der extremen mitte„Was kann ein Mittelmäßiger am besten? Einen anderen Mittelmäßigen erkennen. Sie tun sich zusammen, kraulen sich gegenseitig das Fell und danken es mit einer Gegenleistung, um einem wachsenden Klan den Rücken zu stärken, denn schon bald werden sie andere Mittelmäßige anziehen. Wichtig dabei ist nicht so sehr, Dummheit zu vermeiden, als sie mit Bildern der Macht zu schmücken.“ (S. 11)

Wenn nur mehr die Macht des Geldes regiert und alle sich in den Dienst der Reichen und Mächtigen stellen, um deren selbstbezogene Ziele zu verfolgen, herrscht das Mittelmaß, das nicht mehr über ein vorgegebenes Denken und Handeln hinauskann und das alle Bereiche des geistigen, ökonomischen und kulturellen Lebens durchzieht.

armin thurnher, anstandslosWenn ein Begriff für sich genommen schon Grübeln auslöst, ist er ein gutes Starterkabel für das Anwerfen eines Essays. Leserschaft und Autor sitzen aufgewühlt um diesen Begriff „Anstandslos“ herum, der vielleicht zur Beschreibung der jüngeren politischen Ereignisse in Österreich dient. – Zudem eignet sich das Genre Essay besonders gut für noch nicht verfestigte Lava in der Geschichtsschreibung, die künftig mit frischem Material bewachsen sein wird.

„Anstandslos“ ist am ehesten mit „wie geschmiert“ zu übersetzen, was ja auch wieder einen Essay auslösen könnte.

alain finkielkraut vom ende der literatur„In normalen Zeiten stehen uns zwei Mittel zur Verfügung, um zu verhindern, dass das Besondere im Allgemeinen untergeht: die Literatur und das Recht. Die Beachtung von Unterschieden und die Weigerung, pauschalierend zu denken – charakteristisch sowohl für die juristische als auch für die literarische Betrachtung des menschlichen Lebens –, bewahren uns vor ideologischem Denken. In revolutionären Zeiten aber gehen Menschlichkeit und Scharfblick solcher Art in der Flut der mitleidlosen Anteilnahme unter …“ (S. 78 f)

Alain Finkielkraut gilt als einer der bekanntesten und provokantesten französischen Philosophen der Gegenwart. Dabei stellt er ganz bewusst gängige dominierende Strömungen des politischen und gesellschaftlichen Diskurses in Frage und untersucht sie auf ihren Hintergrund und ihre Folgen.

ralf rothmann, die nacht unterm schneeDie Kraft der Terrorregime besteht unter anderem darin, dass sie im Augenblick der Folter höchst persönlich werden. Die malträtierte Person empfindet den Schrecken in dem Glauben, dass er höchst persönlich für sie ausgewählt wird.

Ralf Rothmanns Roman „Die Nacht unterm Schnee“ baut eine Nachkriegsbiographie rund um eine Vergewaltigung auf, die1945 bei Kriegsende im Osten geschieht. Das Mädchen Elisabeth wird Opfer einer Schändung und wünscht, ewig vom Schnee bedeckt zu bleiben. Der Vergewaltiger ruft mehrmals „Devushka“ (161), was so viel wie Mädchen heißt.

evelyne lorenz, das neunte landDer sogenannte Bundesländerroman gilt als eine raffinierte Besonderheit für die Rezeption der Literatur. Da der Grunderwerb von Lesen und Schreiben sowie das Betreiben von Schulen, Bibliotheken und Archiven meist in die Kompetenz der Länder fallen, hat sich ein eigenes Genre entwickelt, das fallweise die öffentlichen Bedürfnisse einer Region erfüllt. Im Volksmund nennt man dieses Kulturgut streng „Bundesländerroman“.

Evelyne Lorenz hat ein staatstragendes Jubiläum zum Anlass genommen, um anhand einer didaktischen Story die Geschichte des Burgenlandes in den letzten hundert Jahren zu erzählen. Der Bundesländerroman erweist sich dabei als passables Genre, um verzwickte Geschichte unterhaltsam darzustellen.

janko ferk, mein leben, meine bücherJe heftiger du vom Lesen schwärmst, umso weniger glaubst du vielleicht daran. – Diese schlaue Erkenntnis von Bibliothekaren, die sich mit aufgekratzter Kundschaft auseinandersetzen müssen, sollte man auch probehalber für Dichter anwenden, die zum Ruhestand in eine potentielle Lese- oder Schreibkrise geraten sind.

Janko Ferk nennt seine persönlichste Erzählung „Mein Leben. Meine Bücher“. Darin beschreibt ein ziemlich „authentisches Ich“ zehn Bücher, die es zu einem außergewöhnlichen Leben verführt haben. Die Erzählung ist erfüllt von Glück, Aufregung, Anspannung und Genugtuung, dem Helden ist nämlich nichts anderes gelungen als ein literarisch erfülltes Leben.

wolfgang böhm, zwischen brüdernHat es einen Sinn, eine Geschichte zu erzählen, die vor hundert Jahren gespielt hat? – Ja, weil in der Literatur ja nicht nur die Geschichte von damals, sondern plus hundert Jahre danach als Geschichte erzählt werden.

Wolfgang Böhm entwirft anhand eines Brüderpaars eine kleine atmosphärische Kulturgeschichte aus dem Wien der Zwischenkriegszeit des vorigen Jahrhunderts. Der Ich-Erzähler Viktor und sein Bruder Hans sind seinerzeit von Olmütz aus in den Ersten Weltkrieg geschickt worden. Boden- und orientierungslos landen sie in den 1920er Jahren im derangierten Wien, das gerade als geköpftes Haupt eines ehemaligen Kaiserreichs in Geographie und Geschichte herumliegt.

ludwig roman fleischer, weana gschichtDas Buch von der Wiener Universal-Geschichte betritt man am besten, indem man wie durch einen akustischen Triumphbogen der Sprache mit zwei CDs hineinhüpft in den Text. „Weana Gschicht“ ist eine mündliche Angelegenheit, gleichsam öffentlich wie intim. Im Vorsatz sind die beiden güldenen CDs eingeklemmt. Der beigestellte Buchtext hat die Funktion, das Auge still zu halten, damit sich das Gehör konzentrieren kann. Wie eine Partitur zeigt der Text vor allem die Gliederung, die dem Jahrhundertwerk innewohnt.

Ludwig Roman Fleischer ist ein Sprachkünstler und Erwachsenenbildner. Mit seinem ironischen Duktus stellt er fürs erste klar, dass man ruhig seiner Stimme lauschen kann, es wird keine spannendere in der nächsten Zeit auftreten. Und die voluminöse Prägnanz gibt dem Vortrag jene Glaubwürdigkeit, die es braucht, um die volle Wucht des Themas „Geschichte“ auszuhalten.

michil costa, raus  aus dem rummelTourismus funktioniert meist dort, wo zumindest eine der beteiligten Parteien das Denken eingestellt hat. In den Alpen haben sowohl Anbieter als auch Konsumenten die Reflexion während ihrer Tourismus-Performance eingestellt, weshalb er so prächtig funktioniert.

Michil Costa verwendet einen sehr emotionalen Titel für sein Plädoyer gegen die touristische Monokultur, das „Raus aus dem Rummel“ ist freilich eine Würdigung des eigenen Lebenswerkes mit der Bitte an imaginäre Enkel, es vielleicht doch anders zu machen.

thomas piketty, eine kurze geschichte der gleichheit„Dieses Buch bietet eine vergleichende Geschichte der Ungleichheit zwischen gesellschaftlichen Klassen in menschlichen Gesellschaften – oder vielmehr eine Geschichte der Gleichheit, gibt es doch eine langfristige historische Tendenz zu mehr sozialer, ökonomischer und politischer Gleichheit.“ (S. 13)

Auch wenn sich grundsätzlich seit der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Tendenz zu mehr Gleichheit in den Bereichen Status, Eigentum, Einkommen, zwischen den Geschlechtern und Rassen beobachten lässt, bestehen die Ungleichheiten auf allen Ebenen weiterhin fort. Um weitere Verbesserungen in Gang zu setzen, ist es daher wichtig, zu erkennen, welche Kämpfe, Bewegungen und institutionellen Veränderungen in der Geschichte nachhaltig zu mehr Gleichheit geführt haben.