noam Chomsky und marv waterstone, konsequenzen des kapitalismus„Scheinbar endlose Kriege sowohl der heißen auch der kalten Art überall auf der Welt. Immer umfangreichere und gravierendere Umweltkatastrophen. Beispielloser globaler Reichtum und beispiellose Ungleichheit der Einkommen. Und, als Reaktion auf diese und weitere Symptome systemischen Zusammenbruchs immer repressivere und autoritärere Regimes, die sich einer extrem spalterischen Rhetorik bedienen. Das sind die Bedingungen, die das tägliche Leben von Milliarden von Menschen auf unserem Planeten charakterisieren.“ (S. 7)

Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung mit dem gegenwärtigen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem Kapitalismus stehen seine Folgen, die sich als Umwelt- und Klimakrise, militärische Eskalationen und eine neoliberale Durchdringung unserer Wirtschaft und Gesellschaft äußern.

konrad paul liessmann, lauter lügenWas für ein Cover! - Lauter Lügen | Lauter Lägen | Konrad Liessmann | Lauter Lügen. Der Philosoph steht mitten unter Lügen.

Konrad Paul Liessmann ist mit den beiden Tugenden Selbstvertrauen und Selbstironie gesegnet, was vor allem den Lesern zugute kommt. Denn je nach Strenge des Gedankens ist man geneigt, sich manchmal der übersteigerten, dann wieder der lustigen Seite des Denkens zuzuwenden.

„Lauter Lügen“ ist eine Essaysammlung aus den Jahren 2016 bis 2022. Als philosophische Überlegungen wurden die Texte in der „Neuen Zürcher Zeitung“ und „Kleinen Zeitung“ abgedruckt. Beide Zeitungen haben hohes Renommee, wenn auch verschieden gelagertes Publikum, dem liberalen Schweizer Freigeist steht auf der anderen Seite der klerikal Österreichische Kleingeist gegenüber. Die Essays freilich sind so offen gestaltet, dass sie an beiden Segmenten andocken können.

tomaz salamun, steine aus dem himmelGedichte sind das Ringen um das, was Gedichte sind. Dabei sind diese vielleicht nur Steine aus dem Himmel.

Tomaž Šalamun ringt ein Leben lang um diese logischen Fügungen, die in einfachen Sätzen darstellen, was niemals einfach gesagt werden darf. Verwegen schickt er sein lyrisches Ich zwischen die Zeilen, um Unruhe durch Einfachheit auszulösen.

martin schwietzke, der hundeausführroboterausführhundIm Zeitalter von Hashtag-Überschriften ist es durchaus üblich, den Plot einer Nachricht in ein zusammengepresstes ZIP-Wort zu verpacken. Die deutsche Sprache neigt ohnehin zu Wortverpressungen, man denke nur an die Lust diverser Regierungen, ein Gesetz in Wortmonster zu verpacken und als „Gute-Kita-Gesetz“ zu beschließen.

Martin Schwietzke greift dieses Stilmittel auf und versieht neben der Haupterzählung auch den gesamten Erzählband damit. Durchgehendes Thema der neun Geschichten ist die Überlegung, dass die besten Erzähl-Champignons auf dem lockeren Nährsubstrat der bisherigen Literaturgeschichte wachsen. Eine gute Geschichte fußt meist auf dem Mist einer anderen guten Geschichte und ist upgedatet, aktualisiert und für den modischen Gendergebrauch umgemodelt.

reinhard wegerth, fast unglaublichDie Literatur hat ja eine doppelte Aufgabe, was die Glaubwürdigkeit betrifft. Einerseits muss sie etwas schier Undenkbares wahr machen, indem es als Literatur erzählt wird, und andererseits führt sie zum Kopfschütteln, wenn das eingepasste Weltbild des Lesers durch Abweichung von der Erzählnorm zum Vibrieren gebracht wird. – Historiker sagen nicht umsonst, dass es keine erzählte Geschichte gibt, die nicht aus der „getätigten Geschichte“ resultiert oder diese induziert.

Reinhard Wegerth nimmt für seine wahren Geschichten einen „fast unglaublichen“ Standpunkt ein. Er lässt fünfzehn Episoden der jüngeren Geschichte Österreichs Revue passieren, indem er die beteiligten Gegenstände zu Helden macht. Seine Überlegung ist raffiniert: Wenn schon die Geschichte sich gewisser handelnder Personen bedient, um daraus Helden oder Unglücksraben zu machen, dann könnte man die beteiligten Gegenstände ebenfalls heroisch aufwerten und ihnen eine Stimme zukommen lassen, wie ja auch bei Kriminalfällen oft Gegenstände aus der Asservatenkammer geholt und während eines Prozesses befragt werden.

alexei salnikow, petrow hat fieberUnschuldig lesen war einmal, heutzutage gilt es, zuerst die politische Haltung abzutasten, ehe man sich an ein Buch wagen darf. Besonders heikel sind momentan Romane, die irgendwas mit dem „zweiten putinschen Krieg“ (2022) zu tun haben.

Alexei Salnikows Roman „Petrow hat Fieber“ aus dem Jahr 2016 spielt im Russland der Vorkriegszeit, handelt vom Delirium der postsowjetischen Gesellschaft in den Nullerjahren und ist als russischer Text stark ausgrenzungsgefährdet. Die Sache wird ein wenig erleichtert, da der Autor zwar in Jekaterinburg gewirkt hat und dort auch den Roman spielen lässt, aber selbst im heutigen Estland geboren ist, was ihm euro-baltische Sympathien entgegenbringt.

benedikt widmaier, politische bildung nach auschwitz„Wie kein anderes historisches Ereignis stehen die nationalsozialistischen Verbrechen für die basale Erschütterung des Vertrauens in die zivilisatorische Selbstbegrenzung der modernen Gesellschaft. Auschwitz zerbrach die fortschrittsoptimistische Grundfigur der Aufklärung, weil sich mit der industriell organisierten Vernichtung von Menschen, dem zerstörerischen Antisemitismus und der Pervertierung des Nationalstaatsgedankens das erklärte Ziel der Aufklärung in ihr Gegenteil verkehrt hatte.“ (S. 17)

Die Schrecken der NS-Diktatur und des Holocaust bilden die zentrale Zäsur des 20. Jahrhunderts, die auch für die politische Bildung im schulischen Unterricht, vor dem Hintergrund veränderter Lebens- und Erfahrungswelten eine fundamentale pädagogische Herausforderung darstellt.

reinhard margreiter, wohnen im zeitalter der mobilitätDie Wohnung ist nach dem Blastoderm und der Kleidung unsere dritte Haut, in der wir leben. Die vierte wäre das politische Gemeinwesen. So ungefähr ist für das Ende des letzten Jahrhunderts das Curriculum der Erwachsenenbildung aufgebaut. Anhand der vier Häute können damit alle Probleme des adulten Menschen besprochen und fallweise gelöst werden.

Das Wohnen an sich ist zwar seit Jahrhunderten jenes Thema, das dem Denken und Philosophieren eine weite Bühne bietet, man denke nur an den berühmten Heideggersatz „Die Sprache ist das Haus des Seins“. Im gegenwärtigen Diskurs freilich handelt das Wohnen vom Schaffen von Wohnraum, der Materialisation von Kapital und einem vorläufigen Endzustand einer Gesellschaft, die in den Segmenten Tourismus und Migration ständig unterwegs ist.

alexander marguier, die wokeness-illussion„Denn kein geringerer als der wirkmächtige US-Politologe Francis Fukuyama ließ in seinem schon 2018 erschienenen Buch mit dem Titel »Identität« keinen Zweifel daran, dass der kulturelle Fokus der Identitätspolitik von ernsthaften Überlegungen darüber abgelenkt habe, »wie der dreißig Jahre währende Trend in den meisten liberalen Demokratien zu größerer sozioökonomischer Ungleichheit umgekehrt werden kann«.“ (S. 8)

Die Aufsatzsammlung „Die Wokeness-Illusion“ setzt sich mit den verschiedenen gesellschaftspolitischen Diskussionen der Gegenwart rund um die Themen struktureller Rassismus, Geschlechtersystem, Neoliberalismus, politisch korrekter Konsum, woke Sprache und Kultur, Identitätspolitik und kulturelle Aneignung auseinander.

alain denault, die herrschaft der extremen mitte„Was kann ein Mittelmäßiger am besten? Einen anderen Mittelmäßigen erkennen. Sie tun sich zusammen, kraulen sich gegenseitig das Fell und danken es mit einer Gegenleistung, um einem wachsenden Klan den Rücken zu stärken, denn schon bald werden sie andere Mittelmäßige anziehen. Wichtig dabei ist nicht so sehr, Dummheit zu vermeiden, als sie mit Bildern der Macht zu schmücken.“ (S. 11)

Wenn nur mehr die Macht des Geldes regiert und alle sich in den Dienst der Reichen und Mächtigen stellen, um deren selbstbezogene Ziele zu verfolgen, herrscht das Mittelmaß, das nicht mehr über ein vorgegebenes Denken und Handeln hinauskann und das alle Bereiche des geistigen, ökonomischen und kulturellen Lebens durchzieht.