michil costa, raus  aus dem rummelTourismus funktioniert meist dort, wo zumindest eine der beteiligten Parteien das Denken eingestellt hat. In den Alpen haben sowohl Anbieter als auch Konsumenten die Reflexion während ihrer Tourismus-Performance eingestellt, weshalb er so prächtig funktioniert.

Michil Costa verwendet einen sehr emotionalen Titel für sein Plädoyer gegen die touristische Monokultur, das „Raus aus dem Rummel“ ist freilich eine Würdigung des eigenen Lebenswerkes mit der Bitte an imaginäre Enkel, es vielleicht doch anders zu machen.

robert prosser, verschwinden in lawinenWie kaum ein anderer Wirtschaftszweig ist der Tourismus davon abhängig, dass er auch von jenen mitgetragen wird, die ihm am liebsten aus dem Weg gehen. Ähnlich dem Sozialismus in der DDR ist der Tourismus in den Alpen eine Lebensform, die mit „IM“s im Dorfleben überwacht und eingefordert wird.

Robert Prosser ist in einem innigen Alpendorf groß geworden, seine Heimatgemeinde trägt sogar das Label „Alp“ im Ortsnamen. Wie viele Intellektuelle und Schriftsteller ist er früh von zu Hause aufgebrochen, um jenen Teil der Welt zu erkunden, der im Tourismus nicht vorkommt. Legendär sind seine Romane über den Kaukasus, den er als Abrundung zu Geschichten am Schwarzen Meer, mehrfach erkundet hat. Wegen der Kriege, die in diesen Ländern oft heimlich aufbrechen, wurde seine literarische Tätigkeit manchmal mit den Kriegsreportagen Hemingways verglichen, der ja seine Helden in amorphen Kriegen auftreten lässt.

thomas piketty, eine kurze geschichte der gleichheit„Dieses Buch bietet eine vergleichende Geschichte der Ungleichheit zwischen gesellschaftlichen Klassen in menschlichen Gesellschaften – oder vielmehr eine Geschichte der Gleichheit, gibt es doch eine langfristige historische Tendenz zu mehr sozialer, ökonomischer und politischer Gleichheit.“ (S. 13)

Auch wenn sich grundsätzlich seit der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Tendenz zu mehr Gleichheit in den Bereichen Status, Eigentum, Einkommen, zwischen den Geschlechtern und Rassen beobachten lässt, bestehen die Ungleichheiten auf allen Ebenen weiterhin fort. Um weitere Verbesserungen in Gang zu setzen, ist es daher wichtig, zu erkennen, welche Kämpfe, Bewegungen und institutionellen Veränderungen in der Geschichte nachhaltig zu mehr Gleichheit geführt haben.

sophie reyer, gartentageIn einem Buchhändlerwitz heißt es, wenn im Frühjahr und Herbst die Einkäufer die Katalogvorschauen nach dem Namen Sophie Reyer durchblättern, kommt er nicht zweistellig oft vor, wird es eine magere Saison mit verarmter Literatur. Der Stimmungsindex wird in diesem seltsamen Witz „Rayometer“ genannt.

Tatsächlich hat Sophie Reyer mittlerweile in allen österreichischen Verlagen publiziert, zudem gibt es kein Genre, das sie nicht schon einmal beackert hätte. Aus dieser Emsigkeit resultiert auch die Einschätzung ihrer Arbeit als Übungsliteratur. Die Autorin ist viel mit Schreibwerkstätten unterwegs und übt dabei mit den Klienten alle nur erdenklichen Textsorten. Positiv lässt sich daraus eine Literaturtheorie formulieren: Sophie Reyer verfasst keine abgefertigte Literatur, sondern Vorübungen dazu.

alessandra dorigato, a modo mioWenn du eine Kultur verstehen willst, musst du sie kochen! – Nicht umsonst hat etwa der europäische Wieser-Verlag ein umfangreich gastrosophisches Angebot in seinem Repertoire und wirbt mit dem Slogan, dass die beste Übersetzung die Küche sei. Auch der Raetia Verlag als wesentlicher Vermittler zwischen den Sprachgruppen legt immer wieder sogenannte Kochbücher auf, um den Kulturtransfer auf der Zunge zergehen zu lassen.

Überhaupt spielen Kochbücher ab einem gewissen Lese-Alter eine tragende Rolle, sprechen sie doch die schwindenden Sinne der Benützer in anregenden Portionen an, und vermitteln vor allem Optimismus, dass die Sache gut ausgeht. Denn jedes Kochbuch sprüht gute Rezepte über den Küchentisch, es gibt keines, das schlechte Arrangements auf den Teller zaubern will.

h. c. artmann, der wackelatlasIn der Mythologie ist der Atlas etwas vom Stabilsten und Schwersten, was ein Titan tragen kann. Wenn nun aber der Atlas zu wackeln und zu schwächeln beginnt, wie zerbrechlich müssen dann erst Halbgötter und Menschen sein?

H. C. Artmann ist ein kosmopolitischer Poet, in allen Sprachen und Ländern zu Hause, ein Geschichten- und Sprachenerfinder, ein eruptiver Lyriker, und vor allem ein unsterblicher Benützer eines Ehrengrabes. So frech und selbstbewusst hat er sich selbst eingeschätzt, wohl wissend, dass ihn in seiner Erhabenheit als Solitär letztlich niemand berühren und korrigieren konnte. Und so musste er mit seiner Poetik im Leib sein Leben allein zu Ende bringen.

ronald weinberger, irrlichternde gedichteDer wissenschaftlichste Witz aller Zeiten geht in etwa so: Ein Witz kommt auf die Bühne und erklärt, dass er ein Witz sei.

Ronald Weinberger reizt mit seinem Lyrik-Potpourri „Irrlichternden Gedichte“ jene Grenze aus, die zwischen Humor und Wissenschaft, Witz und Traktat liegt. Dabei tut sich ein unerwartetes Problem auf: Wächst der Humor mit dem Wissen mit? Oder trennen sich die beiden während des Gedichtes, wenn es ihnen zu viel wird?

jesse ball, zensusWarum ausgerechnet ich? – Quer durch die Jahrhunderte gibt es diese Schicksalsfrage, die das Individuum an eine anonyme Menge stellt, wenn es darum geht, einer besondere Anforderung zu entsprechen, etwas auszuhalten oder eine Barriere zu überwinden.

In der Literatur wird dieses extravagante Schicksal mehr oder weniger plausibel erzählt, in der Soziologie begnügt man sich schon damit, es ausfindig zu machen und zu dokumentieren.

Als besondere Form der „Zählung“ wird dabei der Zensus herangezogen, wobei beispielhaft Einzelschicksale hochgerechnet werden zu einem gesellschaftlichen Allgemeinzustand. In der Vogelkunde wird zu diesem Zweck die sogenannte Beringung herangezogen, indem jedes Exemplar haptisch markiert wird.

ludwig roman fleischer, partnerlookDie Weltliteratur, sagt man, ist sehr gerecht aufgebaut. Jedes Land darf einen besonderen Baustein dazu beitragen, und am Ende gibt es eine Fülle von Stoff, Erzähltechniken und überschäumenden Realismus.

Österreichs Beitrag zu diesem erzählenden Weltwunderwerk ist der „Innere Monolog“. Einst vom ruhiggestellten Arzt Arthur Schnitzler für seine Figur Fräulein Else 1924 erfunden, erreicht er seinen Höhepunkt in der Figur des Herrn Karl, der die österreichische Seele zu einem pragmatischen Kellerwesen ausbaut.

Und nicht nur in psychologischen Belangen ist der innere Monolog unschlagbar, er erweist sich auch als Erzählmeister einsamer Individuen, die von einer Pandemie in ihre eigenen Körperzellen gesperrt sind.

ronald weinberger, die astronomie und der liebe gottBücher über große Themen unterliegen dem Erzählparadoxon: Je größer das Thema, desto bescheidener hat die Erzählhaltung auszufallen.

Ronald Weinberger nimmt sich berufsbedingt das größte denkbare Thema zu Herzen, das wahlweise mit All, Weltraum oder Universum bezeichnet wird. Seinen bescheidenen Erzählstandpunkt drückt er in einer Widmung aus, indem er sich bei den Eltern bedankt, die ihn als Teil des Universums auf die Welt gebracht haben. Nebenbei sind sie fröhlich geblieben und erst in hohem Alter abgeklärt verstorben.