Alain Finkielkraut, Vom Ende der Literatur

alain finkielkraut vom ende der literatur„In normalen Zeiten stehen uns zwei Mittel zur Verfügung, um zu verhindern, dass das Besondere im Allgemeinen untergeht: die Literatur und das Recht. Die Beachtung von Unterschieden und die Weigerung, pauschalierend zu denken – charakteristisch sowohl für die juristische als auch für die literarische Betrachtung des menschlichen Lebens –, bewahren uns vor ideologischem Denken. In revolutionären Zeiten aber gehen Menschlichkeit und Scharfblick solcher Art in der Flut der mitleidlosen Anteilnahme unter …“ (S. 78 f)

Alain Finkielkraut gilt als einer der bekanntesten und provokantesten französischen Philosophen der Gegenwart. Dabei stellt er ganz bewusst gängige dominierende Strömungen des politischen und gesellschaftlichen Diskurses in Frage und untersucht sie auf ihren Hintergrund und ihre Folgen.

In fünfundzwanzig Essay setzt sich Finkielkraut mit zentralen Themen gegenwärtiger gesellschaftlicher Diskussionen auseinander, wie z.B. im Essay „Tante Célines Siegeszug“ den weitverbreiteten Drang verschiedener Gruppen allen anderen die eigenen Wertvorstellungen als Maß des Denkens, Sprechens und Handeln aufzwingen zu wollen. Dies zeige sich jedoch nicht in einem Festhalten an einen unveränderlichen Verhaltenskodex, sondern in einer ständigen „Revolution des gesellschaftlichen Miteinanders“ (S. 27)

Der Philosoph scheut aber auch nicht die kritische Auseinandersetzung mit stark verminten Themenbereichen wie der „#MeToo“ Bewegung, in der ohne Überprüfung des Einzelfalls im Namen der Gleichberechtigung gleich die Vorstellung eines Kriegs zwischen Mann und Frau propagiert wird. Gleichzeitig werden Ungerechtigkeiten wie die Ausbeutung armer Frauen als Leihmütter ausgeblendet, in der beiderlei Geschlechter zu Unterdrückern werden.

Weitere Gegenstände der Auseinandersetzung sind die allgegenwärtigen Forderungen nach Diversität und politischer Korrektheit mit denen bestimmte Fragestellungen, wie nach den Problemen der Migration oder mit dem politischen Islam zurückgewiesen werden.

All diese Themenbereiche findet und verknüpft Finkielkraut mit Beispielen aus der Literatur der Gegenwart, ganz besonders in den Werken von Philip Roth und Milan Kundera, in denen viele gesellschaftliche Auseinandersetzungen ein literarisches Echo gefunden haben.

Alain Finkielkraut nimmt in seiner Essaysammlung „Vom Ende der Literatur“ vor allem die gegenwärtige moralisierende Vereinnahmung der öffentlichen Meinung und des öffentlichen Diskurses genauer unter die Lupe und spricht sich dabei vehement gegen populären Drang zu Verallgemeinerung und Verurteilung aus, mit denen der liberale und objektive Austausch von Meinungen eliminiert wird.

Eine überaus lesenswerte und relativierende Gedankensammlung, die alte Denkbahnen aufbricht und neue Betrachtungsmöglichkeiten eröffnet, um einem Wettbewerb der Gedanken und unterschiedlichen Meinungen wieder den Weg zu eröffnen.

Alain Finkielkraut, Vom Ende der Literatur. Die neue moralische Unordnung, übers. v. Rainer von Savigny [Orig. Titel: L’après littérature]
München: Langen Müller Verlag 2023, 220 Seiten, 22,70 €, ISBN 978-3-7844-3656-2

 

Weiterführende Links:
Langen Müller Verlag: Alain Finkielkraut, Vom Ende der Literatur
Wikipedia: Alain Finkielkraut

 

Andreas Markt-Huter, 27-03-2023

Bibliographie

AutorIn

Alain Finkielkraut

Buchtitel

Vom Ende der Literatur. Die neue moralische Unordnung

Originaltitel

L’après littérature

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

2023

Verlag

Langen Müller Verlag

Übersetzung

Rainer von Savigny

Seitenzahl

220

Preis in EUR

22,70

ISBN

978-3-7844-3656-2

Kurzbiographie AutorIn

Alain Finkielkraut ist ein französischer Philosoph und Autor. Er ist der Sohn eines polnisch-jüdischen Lederwarenhändlers, der das KZ Auschwitz überlebte. Er lehrt Philosophie an der École polytechnique und moderiert eine Sendung des französischen Radiosenders France Culture. Finkielkraut steht in der Tradition jener großen öffentlichen Intellektuellen, die seit Voltaire in den Lauf der Geschichte eingreifen und gehört zu den einflussreichsten Intellektuellen Frankreichs.