friedrich hahn, liebe störtDie besten Erzähler sind jene, die am Sterbebett liegen. Sie brauchen niemanden mehr zu beeindrucken und nichts mehr zu schönen. Sie können das Leben abrechnen, auch wenn sie es oft falsch boniert haben.

Friedrich Hahn erzählt aus einer verrückt-frechen Position heraus. Sein Ich-Erzähler ist gerade gestorben und räsoniert „zum Ausgeistern“ über sein Leben und wie das so ist, bis der Leichnam endgültig entsorgt ist. Sein letzter Satz heißt „Liebe stört“ und ist offensichtlich wohl vorbereitet, wie alle diese berühmten Sätze von „mehr Licht“ bis hin zu „mehr nicht“.

christian futscher, statt einer mütze trug ich eine wolkeJeder Roman lebt davon, dass er mit den Wörtern mehrdeutig umgeht. Schließlich geht es bei jedem Begriff um eine vage Gedankenbewegung. Wenn beispielsweise etwas am Kopf sein soll, ist es vorerst egal, ob es sich um eine Mütze handelt oder um eine Wolke.

Christian Futscher entwickelt aus diesem Mehrdeutigkeitskult heraus eine eigene Erzählform. Der Ich-Erzähler tritt in die Plot-Stapfens eines Schelms und spuckt eine Pointe nach der anderen aus. Wie bei einem Miststreuer werden die Dungteile gleichmäßig verteilt und spornen die Phantasie zu größtem Wachstum an.

antonio fian, wurstfragen„Griassinnen!“ - Im Wiener Kaffeehaus wird schon seit Jahrhunderten gegendert, wenn eine Bestellung aufgenommen und die sitzende Hofratschaft begrüßt werden muss.

Antonio Fians „Wurstfragen“ handeln von diesen kleinen Verunreinigungen, die im Gebrauch der Alltagssprache auftreten, wenn man nicht genau hinhört oder eine Fügung ohne zu denken verwendet. Die Wurstfragen sind vor allem solche, die Wurst im Sinne von egal sind, also letztlich niemand interessieren. Andererseits tastet sich an diesem Haupt-Hauptwort „Wurst“ die gesamte Kultur entlang, gibt es doch von der Polnischen bis zur Wiener allerhand Wurstformen, die erst dann ihre Reife entwickeln, wenn niemand weiß, was drin ist. Und von jener Wurst, die allenthalben hinten herauskommt, braucht man als Kulturphilosoph gar nicht zu reden, sie liegt nämlich vom Hund gemacht auf diversen Gehsteigen oder plagt die Kundschaft auf dem Weg zur Apotheke.

harald darer, mongoDort hineinstierln, wo Statistiken und offizielle Curricula nicht hinkommen, das ist unter anderem die Aufgabe eines zeitgenössisch-aufgeweckten Romans.

Harald Darer nimmt sich mit seinem Roman „Mongo“ des Schicksals eines pfiffigen Helden an, der medizinisch gesehen mit dem Down-Syndrom geboren worden ist, aber nach allen Regeln der Kunst ein abgerundetes, vielleicht sogar glückliches Leben führt.Nach dem Motto, dass die schwersten Probleme in der kleinsten Familie gelöst werden, treten Katja und ihr Mann, der Ich-Erzähler Harry, eine ungewisse Schwangerschaft an. Das anstehende Kind könnte etwas mit Trisomie 21 haben, vermutet die werdende Mutter, weil ihr Bruder damit auf die Welt gekommen und es vielleicht vererbbar ist.

christian schacherreiter, das liebesleben der stachelschweineAuf der Suche nach seiner Identität wird Österreich schon mal mit einem Schloss verglichen, das Jahrhunderte überdauert hat (Tumler, Schloss in Österreich), oder mit einem von der Roten Armee in den Verfall getriebenen Marchfeld-Gütchen (Fritsch, Moos auf den Steinen). In einer gegenwartsbezogenen Deutung bietet sich an, es mit Österreich als Biomüllanlage zu versuchen.

Christian Schacherreiter zeigt diese Österreichische Seele am Beispiel einer ausgeisternden echten „Nazifamilie“ und eines toten Seitenstumpfs der Sozialdemokratie. Beide Ideologien sind als Familiensaga miteinander verknüpft, wie ein Blick in den Vorspann zeigt, wo im Stile von Doderers Merowingern die Stammbäume ohne Kastrationen ausgerollt sind.

franz reisecker, musik und andere geräuscheMehr als Elternhaus oder Schule ist es oft die Popmusik, die als Erziehungsmeisterin das Ruder beim Heranreifen der jeweiligen Jugend übernimmt. Der sogenannte Erziehungsroman des bürgerlichen Realismus ist also zumindest im Österreich des späten 20sten Jahrhunderts dem Pop-Roman gewichen.

Franz Reisecker erzählt die Geschichte des Walter Gump, der vom flachen Land aus immer weiter in das Epizentrum des Zeitgeists vorrückt und Band-Musiker wird, ehe er sich dann abgeklärt in das Schicksal der Unauffälligkeit begibt.

andreas pavlic, die erinnertenWahrscheinlich ist Dollfuß einfach zu klein gewesen, als dass sich die Literatur mit ihm beschäftigen könnte. In der Österreichischen Literaturszene rätselt man schon seit Jahrzehnten, warum der eine Österreicher mit Schnauzer ständig Thema in Aufarbeitungsromanen ist, während man den kleinen katholischen Uniformträger, der das Land in eine formidable Diktatur geführt hat, jeweils elegant thematisch umschifft wird.

Andreas Pavlic liefert mit seinen „Erinnerten“ einen höchst notwendigen Vorstoß, der die zwei Haupteigenschaften eines historischen Romans mustergültig auf den Lesetisch legt. Einmal ist es die Themenwahl, die jeden historischen Roman elementar bewegt, und zum anderen der Erzählstandpunkt mit der Fragestellung: Wie kann ich etwas scheinbar Abgeschlossenes erzählen, dass es offen wird für die Gegenwart?

bojana meandzija_lauf! warte nicht auf michBerichte aus Kriegsgebieten sind mittlerweile wieder fester Bestandteil unserer Nachrichtensendungen. Während die Korrespondenten in ihren Kugelwesten den neuesten Status durchgeben, sind wir Zuseher oft noch mit Kriegen aus dem vorigen Jahrhundert beschäftigt. So ein Krieg dauert mindestens drei Generationen, bis er sich halbwegs im Unterbewusstsein der Opfer beruhigt hat.

Bojana Meandžija ist noch immer mit dem Aufarbeiten des Krieges rund um Karlovac in den Jahren 1991-1995 beschäftigt. Als Motto wird ein Gefangener zitiert, der zittrig eine Rasierklinge zeigt, sie habe ihm das Leben gerettet. Er hätte sich nämlich jeden Tag rasiert, statt sich umzubringen. Und jemand anderer sagt: „Ich räche mich am Bösen, indem ich es verschweige.“

rudolf lasselsberger, willi und die mohnblumenIm Idealfall steht einem als realistischem Schreib-Helden ein literarischer Freund bei, der so etwas ist wie ein Medium, eine Therapie, der Kater am Morgen oder das Passwort für eine verzwickte URL.

Rudolf Lasselsberger hat nun schon seit längerer Zeit das Glück, dass ihm Willi beim Schreiben und Leben beisteht. „Willi und die Mohnblumen“ heißt Band sieben der Willologie. Das Thema ist das Auffächern der Ereignisse in verschiedene Gleichzeitigkeiten.

wolfgang hermann, insel im SommerWenn etwas gebrochen ist, muss die Literatur wie ein Stützverband um die kaputten Stellen gelegt werden. Dabei ist viel Heilungsglaube vonnöten, sonst wirkt es nicht.

Wolfgang Hermann erzählt in der luziden Form einer Sommergeschichte vom allmählichen Verschwinden der Düsternis, wenn die Trauer sich verflüchtigt. Gleich zu Beginn legt sich Schockstarre über den Icherzähler, er hat in seiner Wiener Wohnung seinen Sohn tot im Kinderzimmer gefunden. Wann das genau gewesen ist, spielt keine Rolle, seither nämlich ist alles anders. „Wenn es geschehen ist, kann man sich das Leben vorher nicht mehr vorstellen.“ (41)