Hofer / Lienhart , idealistisch und wagemutig

Buch-CoverDie markanteste These vorweg: Obwohl das SOS-Kinderdorf in der Praxis von Frauen aufgebaut worden ist, dreht sich letztlich alles um einen Männermythos, den Übervater Hermann Gmeiner.

Bettina Hofer und Christina Lienhart wagen sich als Insider von SOS-Kinderdorf an die heikle Aufgabe, den Pionierinnen der Bewegung in herzlicher Weise gerecht zu werden sich dabei an wissenschaftliche Standards historischer Würdigung zu halten.

In einem Vorspann werden generelle Aspekte des Feminismus, der Geschlechterverhältnisse in der Nachkriegszeit, sowie der wissenschaftlichen Arbeit dargelegt. Bemerkenswert ist der Slogan: „Die soziale Arbeit ist das Amerika der Frau.“

In der Folge sind die Biographien der Pionierinnen wie Mini-Romane ausgeführt. Die Lebensläufe werden ausreichend mit Zitaten abgesichert, dennoch ergibt sich ein aufregender Erzählstil, welcher die Schicksale der „Heldinnen“ zurückgefahren, scheinbar distanziert und dadurch erst recht emotionalisierend zur Geltung bringt.

Die wagemutigen Frauen agieren auf drei Zeitebenen. Die Gründerfrauen heben SOS in den 1940er aus der Taufe, in den 1950er spielt sich die Bewegung vor allem zwischen Imst, Caldonazzo und Wien ab, in den 1960er folgt der Sprung in die Internationalität. (Ein Flug nach Korea kostet damals so viel wie ein VW-Käfer.)

Beeindruckend sind die Biographien, weil die Frauen scheinbar alle gängigen Rollen subversiv unterlaufen haben. „SOS-Kinderdorf“ war ein ideales Betätigungsfeld für Individualistinnen, so lange die Bewegung überschaubar und eine offene und knetbare Zukunftsmasse war. Ständig hin und her gerissen zwischen Mutterbild, Ordensgründung, religiöser Anreicherung und purer Humanität formte schließlich Hermann Gmeiner ein Gebilde, bei dem die Frauen oft enttäuscht auf der Strecke blieben.

Während ihm letztlich der Ruhm geblieben ist und manche Kreise seine Seligsprechung oder etwas in dieser Preislage befürworten, blieb den Frauen meist nur die Verdienstmedaille und ein mehr oder weniger würdiges Ausgedinge am Rande der Gesellschaft.

Allein das Entlohnungsschema, wonach Männern mehr als Frauen zu zahlen sei, hatte sich binnen kürzester Zeit durchgesetzt. So manche Pionierin wurde gerade noch geduldet, obwohl schon längst ein Mann für ihre Rolle vorgesehen war. Offensichtlich ist die Kinderdorfbewegung stark an Heilsbilder eines einzelnen Mannes gebunden, der zwischen Madonna, Mutter und verhärmter Askese hin und her gerissen ist.

So gesehen ist diese Arbeit ein Bravourstück der Aufklärung. Indem nämlich die Biographien im Vordergrund stehen und man als Leserin und Leser beobachten kann, wie sich aus unterschiedlichsten Zugängen von der ländlichen Schneiderin über die Nazi-firme Fürsorgerin bis hin zur urbanen Kunstpädagogin alle eine Zeitlang in den Dienst der Kinderdorfbewegung zu stellen wussten, formen sich im Untergrund der Lektüre recht „idealistisch wagemutige“ Grundsatzfragen:

  • Warum müssen Kinder wie in kleinen Klöstern erzogen werden?
  • Was haben katholische Kinderdörfer in Korea verloren?
  • Sind Kinderdörfer nicht Ghettos, in denen zweifelhafte Eliten herzensgebildet werden sollen?

Bettina Hofer / Christina Lienhart, idealistisch und wagemutig. Pionierinnen im SOS-Kinderdorf.
Innsbruck: Studienverlag 2006. 308 Seiten. EUR 29,90. ISBN 978-3-7065-4345-3.

Weiterführender Link:
Studienverlag: Hofer und Lienhart, idealistisch und wagemutig

 

Helmuth Schönauer, 05-03-2007

Bibliographie

AutorIn

Bettina Hofer / Christina Lienhart

Buchtitel

idealistisch und wagemutig. Pionierinnen im SOS-Kinderdorf

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2006

Verlag

Studienverlag

Seitenzahl

307

Preis in EUR

29,90

ISBN

978-3-7065-4345-3

Kurzbiographie AutorIn

Bettina Hofer, geb. 1967, und Christina Lienhart, geb. 1972, sind Erziehungswissenschaftlerinnen im SOS-Kinderdorf.