Hans Haid, Similaun
Der geheimnisumwitterte Gebirgsstock "Similaun" ist in aller Munde, seit in dieser Gegend Mister Ötzi gefunden und nach Jahrtausenden aus dem ewigen Eis gepickelt worden ist.
Für Hans Haid ist dieser magische Berg-Name eine Beschwörungsformel, mit der sich die Zeitlosigkeit zwischen biblischer Apokalypse und aktuellem Alpenwahn kurz und bündig darstellen lässt.
In der Apokalypse taucht immer wieder das Lamm auf, als Erlösung und letzte Deutung der Dinge. Im Grenzgebiet zwischen Italien und Österreich werden im Angesichte des Similaun seit Jahrhunderten Schafe hin und her getrieben. Was liegt also näher, als einem Schafhirten zwischen den Zeiten die Geschichte in den Mund zu legen.
Virgil ist Hirte und betreut seine Schafe, gleichzeitig ist er ein Sagenkundiger Heimatforscher, der zu jeder Felsformation eine Geschichte weiß. Nichts liegt ihm so quer im Magen wie die so genannte Fortschrittsgläubigkeit und die hemmungslose Ausbeutung der Alpen. Während er mit dem Hirtenstock in alten Sagen herumstochert, stochern die Herren der Gegenwart mit ihren Baggern in der sensiblen Gletscherzone herum.
Im Sinne der Apokalypse, wo ja immer wieder ein neues Kapitel in Form eines Siegels geöffnet wird, klappt der Roman nach und nach die verschiedenen Prophezeiungen und Mythen wie apokalyptische Siegel auf.
Die mächtigen Sagen über die Saligen Frauen, die geheimnisvollen Überlieferungen der versunkenen Städte im Eis, orakelhafte Beschwörungen wie Dananä, Onanä und Tanneneh werden nachgewiesenen Katastrophen und Gebirgsstürzen gegenübergestellt. Der Gebirgs-Tsunami tritt dann auf, wenn Eis-Dämme brechen, Berge wie Tschirgant zusammenstürzen oder von der modernen Technik geschaffene Staudämme brechen wie 1963 der Damm über Largarone.
In diesem Zwielicht der Betrachtung wirken Ausbaupläne von Kraftwerksgesellschaften wie blanker Hohn, der mit apokalyptischen Formulierungen in Zaum gehalten wird.
Hans Haid erzählt im Roman Similaun von der Zerbrechlichkeit des Eises und der Finsternis, Gesänge aus alten Überlieferungen sind in bedrohliche Sätze aus der Apokalypse hineingeschoben. Der Protagonist Virgil ist ein zeitloser Schäfer, der alle Heimatkunden seiner jeweiligen Zeit studiert hat und sie als Chronist jenseits der Epochen aneinanderreiht wie ein Gletscher seine Massen ungehemmt ins Tal schickt.
Das Archaische in den Gedichten Hans Haids kommt in diesem beinahe schon monumentalen Roman mit voller Wucht zum Durchbruch. Nicht nur Gletschern steht man in der Natur fassungslos und zwergenhaft gegenüber, als Leser wirkt man gegenüber diesem Gletscherhaft mächtigen Erzählstrom Hans Haids plötzlich sehr klein, wenn man die eigene schmale Lesezeit der großen erzählten Zeit gegenüberstellt.
Hans Haid, Similaun. Roman.
Innsbruck: Skarabaeus 2008. 231 Seiten. 19,90. EUR. ISBN 978-3-7082-3233-1.
Weiterführende Links:
Homepage: Hans Haid
Skarabäus-Verlag: Hans Haid, Similaun