Christoph W. Bauer, Graubart Boulevard

Buch-CoverStädte tragen oft nicht nur den Panzer historischer Stadtmauern, die mehr oder weniger sichtbar und touristisch verwertbar um alte Gebäude herum verlaufen, unsichtbar und dramatisch verlaufen auch Gräben und Mauern der Erinnerung um solche Städte.

Christoph W. Bauer beschreibt einen solchen Erinnerungsgraben, er nennt ihn hoffnungsvoll Boulevard, damit man vielleicht eingedenk der Familie Graubart, die in Innsbruck vernichtet und vertrieben worden ist, etwas eingebremst durch die Erfolgsgeschichte der Stadt wandelt.

Graubart Boulevard wird bewusst nicht Roman genannt, obwohl der Text wie ein Familienroman aufgebaut ist. Ein Ich-Erzähler soll eine triviale Geschichte aus der Gegenwart recherchieren, die ihm aber nicht behagt, so driftet er immer wieder ab in die Vergangenheit, in den November 1938, wo ein Rollkommando der SS den jüdischen Kaufmann Richard Graubart ermordet.

In vier Gedankenbewegungen versucht der berichtende Journalist, etwas von der Familie Graubart zu erfahren und der zugeschütteten Erinnerung zu entreißen. "Auf dem Viadukt" sind die Gründer der Familie aus Galizien eingewandert, über diese Viadukt-Bögen mussten sie Innsbruck wieder verlassen. "Am Ringplatz" nennt sich jene Phase, als die Familie Graubart sich von Bolechow in Galizien aufmacht, um in der prosperierenden Monarchie irgendwo Fuß zu fassen und in Innsbruck landet.

Mit "Das Kolophonium" ist jener Teil umschrieben, worin sich die Familie zu assimilieren versucht und musische und sportliche Freundschaften zu manchen Ureinwohnern der Stadt schließt. "Vor Gericht" schließlich nennt sich jenes Kapitel, in dem die Mörder mehr oder weniger ungeschoren davon kommen und die Zeitgeschichte anscheinend unter den Teppich gekehrt wird.

Christoph W. Bauer erzählt aus einem politischen Standpunkt heraus, in der Familiengeschichte der Graubart kommen erstmals Menschen zu Wort, die man bisher nie um ihre Sicht der Dinge gefragt hat. Und schon gar nicht hat sich jemand entschuldigt oder das Unfassbare zu erklären versucht. So kommen endlich auch die Mörder in diesem "Roman" nicht ungeschoren davon, ihre Entschuldigungen und ihre Erklärungsversuche werden mit einem klaren Licht ausgeleuchtet und der Wahrheit überantwortet.

Vielleicht hilft auch die sogenannte Gehrer'sche Rechtschreibung, den Erzählstandpunkt klar zu formulieren. Indem nämlich sogenannte Zitate in Anführungszeichen nicht in der Protokollsprache von damals sondern in der neuen Rechtschreibung zitiert werden, wird für den Leser klar: Das, was es hier zu lesen gibt, ist eine Sicht von heute mit dem erinnerten Material von früher.

Christoph W. Bauer legt einen Boulevard des Erinnerns um Innsbruck, dieser trägt ausnahmsweise den Namen der Opfer und nicht wie üblich gedankenlos formuliert jenen der Beherrscher. Niemand wird mehr die Innsbrucker Museumstraße am ehemaligen Geschäft Graubart so gedankenlos entlang gehen wie früher. Graubart Boulevard ermöglicht eine innige Art, Zeitgeschichte durchaus auch mit Moral zu lesen, denn das Lesen verlangt immer Moral.

Christoph W. Bauer, Graubart Boulevard.
Innsbruck: Haymon 2008. 295 Seiten. 19,90. EUR. ISBN 978-3-85218-572-9.

 

Weiterführende Links:
Haymon-Verlag: Christoph W. Bauer, Graubart Boulevard
Homepage: Christoph W. Bauer

 

Helmuth Schönauer, 04-11-2008

Bibliographie

AutorIn

Christoph W. Bauer

Buchtitel

Graubart Boulevard

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2008

Verlag

Haymon

Seitenzahl

295

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-85218-572-9

Kurzbiographie AutorIn

Christoph W. Bauer, geb. 1968 in Kärnten, lebt in Innsbruck.