Irene Prugger, Schuhe für Ruth

Buch-CoverManchmal läuft das Leben ohne Insasse im Körper ab, die Hülle füllt eine sichtbare Rolle aus, aber statt eines Bewusstseins bläst Alltagswind durch das Gewebe des Daseins.

Ruth ist eine unauffällige Figur, zu der man auch als Leser kaum einen Zugang findet. In zwei mal zwanzig Kapiteln spult sie ihr Leben ab, das alle Zutaten zu einer Dutzenderscheinung ideal versprudelt hat.

Lehre als Schuhverkäuferin, Übergewicht, kurze Ehe, der Mann verschwindet mitten in den Alpen als Seemann, zwei Kinder sind ebenfalls übergewichtig, Arbeit in einer Leihbibliothek, ab und zu ein Damenkränzchen im Circle.

Die Probleme sind nicht gerade aufregend. Werden Kaninchen bei Zaubertricks artgerecht gehalten, kann man das Verbot von Haustieren in der Wohnanlage umgehen, sollen die Kinder auf einen teuren Schulausflug geschickt werden? Moral, Selbstbewusstsein und Lebenssinn hängen immer am Finanziellen, wird das Geld knapp, rollt alles auf einer schiefen Ebene nach unten.

Die Behörde stellt eine Betreuerin zur Verfügung, die den Kindern beim Abspecken hilft. Da sich diese Helferin generell als nützlich erweist, übernimmt sie fallweise alle Entscheidungen, so dass Ruth nur noch die Tage über die Runden zu bringen braucht. Nach der Hälfte des Buches ist klar, das Leben ist gelaufen, die Rollen sind verteilt. Als der Circle Geschenke verteilt, klingt es ganz selbstverständlich: "und die Schuhe für Ruth!" (45)

Ein Mann im Parterre wird weggeliefert, in seiner Wohnung stinkt es fürchterlich, es gibt also auch noch ein anderes Leben außerhalb der üblichen Ordnung.

Im zweiten Teil verliebt sich Ruth, die Kinder nehmen ab, auch Ruth wird dünner. Wie schon beim ersten Mann, gelingt auch in der neuen Liebschaft nicht alles, die Geldknappheit stellt abermals einen seltsamen Bezug zwischen Armut und Moral her. Nur die Betreuerin liefert statt Kondome Mundschutz aus (134), alles wie gehabt.

Als eine Freundin stirbt, übernimmt Ruth die Vögel, aber selbst deren Freilassung ist kompliziert, in einer Welt voller Ereignislosigkeit und Ordnung will niemand davon fliegen.

Irene Prugger erzählt distanziert und ironisierend von einem Leben, das in jedem Magazin unter Alltagsschicksal Platz hätte. Wie einst Peter Handke in seiner "linkshändigen Frau" ein Schicksal auf bloße Gesten und mechanische Rituale reduziert hat, wird auch diese Ruth in ihren Begierden und Sehnsüchten auf einem Teigbrett platt gewalzt, bis alles flach ist.

Als Leser denkt man sich "irgendwie selber schuld", wenn man an diese Figur denkt, und wendet sich desinteressiert von diesem Schicksal ab. Und genau das ist das Geheimnis dieser Abwende-Literatur: Gerade wegen der Coolness und Selbstverständlichkeit, mit der diese Ruth wie hinter Glas agiert, ist sie uns letztlich so vertraut, dass wir über uns selbst erschrecken.

Irene Prugger, Schuhe für Ruth. Roman.
Innsbruck: Skarabaeus 2008. 216 Seiten. EUR 19,90. ISBN 978-3-7082-3234-8.

 

Weiterführende Links:
Skarabaeus-Verlag: Irene Prugger, Schuhe für Ruth
Homepage: Irene Prugger

 

Helmuth Schönauer, 05-11-2008

Bibliographie

AutorIn

Irene Prugger

Buchtitel

Schuhe für Ruth

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2008

Verlag

Skarabaeus

Seitenzahl

216

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-7082-3234-8

Kurzbiographie AutorIn

Irene Prugger, geb. 1959 in Hall in Tirol, lebt in Mils.