C.H. Huber, Milzschnitten und andere Spezialitäten

Jede gesellschaftliche Etage bringt zu gewissen Zeiten modische, kulinarische oder spielerische Gesten hervor, die eine Zeit recht gut beschreiben und hintennach als historisches Aha-Erlebnis gehandelt werden. Die Milzschnitten sind so eine Spezialität, die in diversen Haushalten des Wirtschaftswunders mit Genuss und Ekel verzehrt worden ist, ehe ihr hygienische EU-Vorschriften zumindest als Massenartikel den Garaus gemacht haben.

C. H. Huber versammelt unter dem Titel „Milzschnitten“ vierzehn Geschichte aus einem Alltagskosmos, der scheinbar wie geschmiert nach Benimm-Regeln abläuft, worin die Heldinnen und Helden aber ganz schon zu kauen haben, wenn sie ihre Lage reflektieren.

In der Titelgebenden Eingangsgeschichte versucht das erzählende Ich den anwesenden Familien-Clan mit Speis und Trank zu befriedigen, während die diversen Familienmitglieder sich schon während des Essens vom gemeinsamen Tisch verabschieden und ihre eigenen Wege gehen.

Die Heldin des Haushalts nimmt diese divergierenden Kräfte zur Kenntnis und macht sich ihren eigenen Reim darauf. So werden die verschiedenen Gänge, Kompott und Milzschnitten zu Symbolen für einen eigenen Geschmack und ein eigenes Lebensprogramm, das scheinbar geordnet zu Tische sitzt.

Diese Geschichte besteht nämlich nicht aus einem konkreten Zusammensitzen, sondern lebenslang und ausweglos hocken immer Verwandte und Familienmitglieder um irgendwelche Ereignisse herum, die sie nicht aussprechen, aber worin sie mit einem Löffel herumstochern. Und dann stirbt auch noch Elli, die mit ihrem Tod alles durcheinanderbringt, gegen den Tod hilft nämlich kein Menü. Die Heldin sinniert und sinniert und verstrickt sich immer heftiger in die Familiengeschichte.

In der Geschichte von diversen Perspektiven ist die Heldin vorerst den Augen der Männerwelt ausgesetzt, eine späterotische Fleischbeschau tut sich überall auf. Der Körper im permanenten Verfall wird nicht nur von den Geschlechtern verschieden ausgelegt, meist ist auch die Eigenwahrnehmung völlig anders angelegt als die Wahrnehmung des Gegenübers.

Die reflektierende Frau landet schließlich in der Ironie, und unterlegt die Flausen der Männerwelt mit einem wissenden Schmunzeln. Im letzten Stadium der Erkenntnis gelingt es ihr, den Perspektivenwechsel durchzuführen. Als sie sich in die Rollen von Männern, in ihren Habitus und in ihre Hilflosigkeit hineinversetzt, schafft sie beinahe einen objektiven Blick. Quasi als Gegenschnitt tauchen die Bilder anlässlich eines Begräbnisses auf, worin alle Macken und Eitelkeiten vom Tod weggehobelt werden.

Selbst die Sprache verzichtet auf jeglichen Zierrat, am Schluss endet alles in atemlosen Nennformgruppen.

Die Heldinnen in den Geschichten singen gegen die Angst an, vergleichen die Hausarbeit mit der Weltlage, schauen Seitensprüngen ihres Partners mit Ironie zu, und verblöden beim Gaffen aus dem Hoffenster. Einmal kommt ein Unwetterbericht aus dem Radio und beschreibt in meteorologischen Worten, wie eine Seele in ein Tiefdruckgebiet übergeht.

C. H. Huber erzählt in einer Art abgehangener Melancholie von Menschen, denen nicht alles aufgeht, was sie sich so gewünscht haben. Und wenn schon einmal die Milzschnitte serviert wird, wollen sie sie wenigstens auslöffeln.

C.H. Huber, Milzschnitten und andere Spezialitäten
Innsbruck: TAK 2016, 147 Seiten, 19,50 €, ISBN 978-3-900888-61-9

 

Weiterführende Links:
TAK: C.H. Huber, Milzschnitten und andere Spezialitäten
Homepage: C.H. Huber

 

Helmuth Schönauer, 31-05-2016

Bibliographie

AutorIn

C.H. Huber

Buchtitel

Milzschnitten und andere Spezialitäten

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

TAK

Seitenzahl

147

Preis in EUR

19,50

ISBN

978-3-900888-61-9

Kurzbiographie AutorIn

C. H. Huber, geb. 1945 in Innsbruck, lebt in Innsbruck.